Pfändungsschutz bei Lohn- und Gehaltsabfindungen

02.07.2012

Entlassen und abgefunden: Wie erhalte ich die Abfindung?

Immer mehr Arbeitnehmer werden durch Rationalisierungs- und Umstrukturierungsmaßnahmen ihres Arbeitgebers arbeitslos. Oft zahlen die Unternehmen mehr oder weniger hohe Abfindungen aus. Sie sollen dazu dienen, die finanziellen Folgen der Entlassung zu mildern und einen finanziellen Ausgleich für den Zeitraum zu gewähren, den der entlassenen Arbeitnehmer braucht, um eine neue Einkommensquelle (Arbeitsstelle, Rente) zu erschließen. 

I. Rechtliche Grundlagen von Abfindungen

Abfindungen werden entweder auf Grundlage einer gesetzlichen Bestimmung gewährt, z.B. nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) für ungerechtfertigte Kündigungen (§§ 9,10 KSchG) oder für die sittenwidrige Kündigung (§ 13 KSchG). Auch für den Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage bei betriebsbedingten Kündigungen sieht das KSchG Abfindungen vor (§ 1a KSchG).
Eine weitere Grundlage kann ein Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung, ein Sozialplan oder individuelle Regelungen in Arbeitsverträgen sein. So sind bei Massenentlassungen in den Sozialplänen regelmäßig Abfindungszahlungen vorgesehen, die einen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund der Kündigungen vorsehen. 

II. Pfändbarkeit von Abfindungen 

Wenn dann beim Arbeitgeber schon eine Lohn- und Gehaltspfändung vorliegt, kann dies zu Problemen führen. Denn Abfindungen sind nach herrschender rechtlicher Ansicht grundsätzlich als Geldleistungen voll pfändbar, denn sie sind im Sinne des §850 ZPO Arbeitseinkommen, da sie zumindest teilweise die Funktion haben, den Lebensunterhalt sicherzustellen. 

III. Pfändungsschutz für Abfindungen 

Um zumindest einen Teil der Abfindung für den eigenen Lebensunterhalt und den der unterhaltsberechtigten Angehörigen vor der Pfändung zu retten kann der Pfändungsschutz des §850i ZPO in Anspruch genommen werden:

§850i Pfändungsschutz bei sonstigen Vergütungen
(1) Werden nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten oder Dienste oder sonstige Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind, gepfändet, so hat das Gericht dem Schuldner auf Antrag während eines angemessenen Zeitraums so viel zu belassen, als ihm nach freier Schätzung des Gerichts verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Bei der Entscheidung sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners, insbesondere seine sonstigen Verdienstmöglichkeiten, frei zu würdigen. Der Antrag des Schuldners ist insoweit abzulehnen, als überwiegende Belange des Gläubigers entgegenstehen.

III.1 Antrag 

Um den Pfändungsschutz des § 850i ZPO in Anspruch nehmen zu können ist ein Antrag beim zuständigen Vollstreckungsgericht. Für die Antragstellung gibt es keine Frist. Wurde die Abfindung wegen der Pfändung jedoch schon an den pfändenden Gläubiger überwiesen, ist es zu spät, sie kann nicht mehr vom Gläubiger zurückgefordert werden! Anträge können sowohl der Schuldner selbst als auch die unterhaltsberechtigten Angehörigen stellen. Der Arbeitgeber kann diesen Antrag nicht stellen! Vor der Entscheidung hört das Gericht den betroffenen Gläubiger an. 

III.2 Notwendiger Unterhalt 

Problematisch ist der Begriff notwendiger Unterhalt. Es gibt einzelne Gerichte,die sich bei der Bemessung des Unterhaltes an der Pfändungstabelle orientieren und den Grundpfändungsbetrag aus § 850c Abs. 1 ZPO als notwendigen Unterhalt ansetzen. Der überwiegende Teil der Gerichte und der Rechtsliteratur halten diese Ansicht für falsch und orientieren sich an den Sozialhilfesätzen bzw. seit 2005 an die Regelsätze des Arbeitslosengeldes II (sog. Hartz-Gesetze). Üblich ist dabei jedoch, dass man zu den normalen Regelsätzen einen Aufschlag zubilligt für Berufsaufwendungen und sonstigen Besonderheiten wie Krankheit, Behinderung, Schwangerschaft u.ä.

Hinzu kommen noch die angemessenen Kosten für die Unterkunft, d.h. Miete einschl. Nebenkosten und Heizung. Ist die Miete unangemessen hoch, kann der Schuldner zumindest am Anfang des Zwangsvollstreckungsverfahren nicht darauf verwiesen werden kann, sich eine billigere Wohnung zu suchen. Für die Übergagnszeit sind dann die tatsächlichen Wohnkosten zugrunde zu legen. (LG Mainz, JurBüro 2000,157).

Bei der Bestimmung des notwendigen Unterhaltes wird vom Gericht auch gewürdigt, ob noch andere Mittel zur Bestreitung des Unterhaltes, z.B. Arbeitslosengeld I, Kindergeld, Wohngeld u.ä. vorhanden bzw. möglich sind und dann einen festen Betrag festsetzen 

III.3. Angemessener Zeitraum 

Auch die Frage des angemessenen Zeitraums kann nicht pauschal beantwortet werden. Die Gerichte haben hier unterschiedlich entschieden. Grundsätzlich soll der Zeitraum abgedeckt werden, die der Schuldner benötigt, bei eigenen Bemühungen wieder seinen eigenen Unterhalt und den seiner Angehörigen aus eigenen Einkommen abzudecken. Das Gericht muss deshalb nach den Umständen des Einzelfalls eine Prognose stellen, wann dies voraussichtlich der Fall ist. Eine Reihe von Gerichten gehen dabei in der Regel von Zeiträumen von sechs Monaten aus. Besondere Umstände wie z.B. eine Krankheit oder Behinderung können diesen Zeitraum erhöhen.

Ein weiterer Gesichtspunkt ist der Zweck der Abfindung. In vielen Sozialplänen soll die Abfindung z.B. den Zeitraum bis zum Eintritt in die Altersrente abdecken. Das Landgericht Essen hat z.B. einem Schuldner einen Zeitraum von 60 Monaten bis zum Eintritt in das Rentenalter zugebilligt.

Zusammengefasst
 bietet der § 850i ZPO einen Pfändungsschutz für einen Teil der Abfindung. Dabei entscheiden die Gerichte nach individuellen Gegebenheiten und Umständen. Für den Schuldner ist es deshalb wichtig, bereits mit der Antragstellung auf Besonderheiten hinzuweisen, die die Höhe oder den Zeitraum der Pfändungsfreiheit beeinflussen können.