Verkürzte Wohlverhaltensperiode auch bei Verfahrenseröffnung nach dem 30.11.2001

09.08.2002

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 9.8.2002 – 2/9 T 406/02

Leitsatz des Kommentators:

Auch bei einer Verfahrenseröffnung nach dem 30.11.2001 kann eine Verkürzung der Laufzeit der Abtretungserklärung von 6 auf 5 Jahre erfolgen. Der Wortlaut des Art. 107 EGInsO steht dem nicht entgegen.

LG Frankfurt am Main, Beschluss vom 9.8.2002 – 2/9 T 406/02

Vorinstanz: AG Frankfurt am Main

Fundstelle: ZVI 2002, 285 - 286

Gründe:

Auf den am 12.11.2001 bei Gericht eingegangenen Antrag des Schuldners auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens, verbunden mit einem Antrag auf Restschuldbefreiung, ist das Insolvenzverfahren mit Beschluß vom 27.12.2001 eröffnet worden. Im Schlusstermin vom 16.7.2002, zu dem kein Insolvenzgläubiger erschienen ist, hat das Amtsgericht den angefochtenen Beschluß verkündet, mit dem antragsgemäß die Erteilung der Restschuldbefreiung angekündigt worden ist, zugleich aber festgestellt worden ist, die sogenannte Wohlverhaltensperiode betrage sechs Jahre ab Insolvenzeröffnung. Zur Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Schuldners, eingelegt am 25.7.2002 durch den Verfahrensbevollmächtigten zu 1). und wiederholt und begründet durch den Verfahrensbevollmächtigen zu 2.) durch Schriftsatz vom 30.7.2002.

Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Vermerk vom 2.8.2002 nicht abgeholfen.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 289 Abs. 2 InsO, § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und zulässig, da sich der Schuldner gegen die Ablehnung der Verkürzung der Dauer der Abtretung pfändbare Bezüge gemäß Art. 107 EGInsO wehrt (vgl. Wimmer/Ahrens, InsO, 3. Aufl. § 289 Rz. 17 mit weiteren Nachweisen).

Die sofortige Beschwerde ist auch begründet, weil das Amtsgericht zu Unrecht die Verkürzung der Wohlverhaltensperiode auf fünf Jahre abgelehnt hat.

Die Kammer vermag der Ansicht des Amtsgerichts, für die durchaus wohlerwogene Gründe und nicht zuletzt auch der Wortlaut der relevanten Normen spricht, im Ergebnis nicht zu folgen.

Art. 107 EGInsO ist so auszulegen, dass eine Verkürzung der Laufzeit der Abtretung auf fünf Jahre auch nach der Neufassung des § 287 Abs. 1 InsO, in Kraft seit dem 01.12.2002, möglich bleibt. Da die Verkürzung von sechs auf fünf Jahre gegenüber der Verkürzung von sieben auf fünf Jahre ein "weniger" darstellt, steht der Wortlaut der Norm diesem Verständnis auch nicht zwingend entgegen. Für ein solches Verständnis spricht, dass das mit der Regelung des Art. 107 EGInsO verfolgte gesetzgeberische Ziel, den vor dem 1.1.1997 bereits zahlungsunfähigen Schuldnern durch das um zwei Jahre verschobene In-Kraft-Treten der Insolvenzordnung nicht zusätzlich zu belasten, durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26.10.2001 (BGBl I, 2710) nicht weggefallen oder erledigt ist. Es besteht für die sogenannten Altschuldner fort. Aus den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks, 14/6468, S. 18) lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber durch die Verkürzung der Wohlverhaltensperiode im Sinne von § 287 Abs. 1 InsO zugleich das Bedürfnis für die Möglichkeit der Verkürzung nach Art. 107 EGInsO als entfallen angesehen hat. Daß durch die Neuregelung hinsichtlich der Laufzeit der Abtretung für die Schuldner insgesamt eine günstigere Rechtsposition geschaffen wurde, ist nicht zu bestreiten. Allerdings kann dem Amtsgericht nicht darin gefolgt werden, aus der sich aus einer Gesamtbetrachtung ergebenden rechtlichen Besserstellung der Schuldner im Allgemeinen sei der Schluß zu ziehen, die für die sogenannten Altschuldner entstandenen Nachteile des Hinausschiebens des Inkrafttretens der Insolvenz-rechtsreform auf den 01.01.1999 seien damit beseitigt angesehen worden. Tatsächlich ergibt sich nichts dafür, dass der Gesetzgeber – quasi im Gegenzug zur allgemeinen Verbesserung der Rechtsposition der Schuldner insgesamt – der Gruppe der Schuldner, die bereits vor dem 1.1.1997 zahlungsunfähig waren, eine nach der alten Rechtslage bestehenden gesetzlichen "Vergünstigung" entziehen wollte. Ob ein redaktionelles Versehen vorliegt oder ob die bisherige Regelung des Art. 107 EGInsO für ausreichend erachtet worden ist, kann daher dahinstehen; allerdings spricht die Fassung des offiziellen Vordrucks nach der VbrInsVV für letzteres. Zwar ist dem Amtsgericht darin Recht zu geben, dass die VbrInsVV als bloße Verordnung den Art. 107 EGInsO nicht zu ändern vermag. Sie lässt aber Rückschlüsse zu, wie § 107 EGInsO von Seiten des am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Bundesjustizministeriums verstanden wird. Im Ergebnis ist daher die "Altfallregelung" des Art. 107 EGInsO auch in Verfahren anwendbar, die seit dem 01.12.2001 eröffnet werden, was zur Folge hat, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen eine Verkürzung der Laufzeit der Abtretung auf fünf Jahre im Beschluß zur Ankündigung der Restschuldbefreiung auszusprechen ist (wie Wimmer/Ahrens, aaO, § 287 Rz. 87 mit weiteren Nachweisen; stillschweigend vorausgesetzt bei Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, 6. Aufl. Rz. 2104).

Da der Schuldner die Voraussetzungen des Art. 107 EGInsO glaubhaft gemacht hat, war eine fünfjährige Laufzeit der Abtretung festzustellen.

Dem Schuldner war auf seinen Antrag hin zugleich Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen, da die Prozesskostenhilfevorschriften im Beschwerdeverfahren anzuwenden sind (vergleiche LG Würzburg, Beschluss vom 6.8.1999, NZI 1999, 417,419 ) und die Beschwerde des im Sinne von § 115 ZPO bedürftigen Schuldners Erfolgsaussichten im Sinne von § 4 InsO, § 114 ZPO besitzt.

Die Entscheidung konnte ohne Anhörung der Insolvenzgläubiger ergehen. Die Anhörung zum Restschuldbefreiungsantrag erfolgt im Schlusstermin ( Frege/Keller/Riedel, aaO, Rz. 2093 ); sofern dort keine Einwendungen erhoben werden, steht den Insolvenzgläubigern gegen die Entscheidung ein Rechtsmittel nach § 289 Abs. 2 InsO nicht zu ( allenfalls Rechtspflegererinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG, vergleiche Kammerbeschluss vom 30.7.2002 - 2/9 T 386/02; Wimmer/Ahrens, aaO, § 289 Rz. 17 ). Da vorliegend keine Einwendungen erhoben worden sind, kommt eine Rechtsmittelbeschwerde der Insolvenzgläubiger durch den vorliegenden Beschluss ohnehin nicht in Betracht.

Kommentar:

Erfreulicherweise gibt es jetzt einen Gegenbeschluss zu dem veröffentlichten Beschluss des LG Bad Kreuznach vom 3.7.2002 ( ZVI 2002, 286 - 287 ) sowie auch des LG Düsseldorf vom 20.8.2002 ( ZInsO 2002, 938 - 940 ) mit dem Tenor, es gebe bei Insolvenzverfahren, die nach dem 30.11.2001 eröffnet werden, grundsätzlich keine verkürzte Laufzeit von nur 5 Jahren mehr.

Strittig ist die Auslegung des Artikel 107 EGInsO, der da lautet " ... verkürzt sich die Laufzeit der Abtretung von sieben auf fünf Jahre." Einige Gerichte ( und es werden immer mehr ) folgern daraus, dass dieser Artikel ( da es eine siebenjährige Laufzeit nicht mehr gibt ) sich nur auf Altfälle ( vor dem 1.12.2001 eröffnet ) beziehen kann. Andere Gerichte und jetzt auch das LG Frankfurt / Main sehen dies nicht so.

Klarheit kann also jetzt nur noch eine Entscheidung des BGH bringen, von der zu hoffen ist, das sie bald ergeht. Zwei entgegengesetzte Entscheidungen zu der selben Fragestellung liegen jetzt vor, so dass grundsätzlich die Rechtsbeschwerde zum BGH eröffnet ist.

Da die Rechtsfrage derzeit noch nicht abschliessend geklärt ist, sollten Schuldner, bei denen tatsächlich ein Anspruch auf Verkürzung besteht (keine neuen Schulden seit dem 1.1.1997 und durchgehende Zahlungsunfähigkeit vom 31.12.1996 bis zur Antragstellung) auf jeden Fall den Verkürzungsantrag stellen und bei einer eventuellen Ablehnung durch das Insolvenzgericht dann sofortige Beschwerde einlegen. So kann diese Frage evtl. bis zu einer Entscheidung des BGH offen gehalten werden.

Michael Schütz, 12.9.2002