Keine Restschuldbefreiungsversagung bei fehlender Einreichung einer Steuererklärung

14.02.2001

OLG Köln, Beschluss vom 14.2.2001 - 2 W 249/00

  1. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeiten für eine Versagung der Restschuldbefreiung in § 290 Abs. 1 InsO abschließend geregelt. Eine steuerliche Erlass- bzw. Stundungsunwürdigkeit i.S. des § 227 AO reicht für eine Versagung der Restschuldbefreiung nicht aus.
  2. Zur Vermeidung von Beweisschwierigkeiten führen nur fehlerhafte schriftliche Angaben zur Versagung der Restschuldbefreiung gem. §290 Abs. 1 Nr. 2 InsO. Durch das fehlende Einreichen einer Steuererklärung macht ein Schuldner noch keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse i. S. des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO.

OLG Köln, Beschluss vom 14.2.2001 - 2 W 249 / 00

Fundstelle: NZI 2001, 205-206

Aus den Gründen:

1. Im Februar 1999 hat der Beteiligte zu 1) beim AG Bochum einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen sowie auf Erteilung von Restschuldbefreiung gestellt. In dem Schuldenbereinigungsplan hat er fünf Gläubiger aufgeführt und Gesamtverbindlichkeiten in Höhe von insgesamt 100.000,- DM angegeben. Hauptgläubigerin ist die Beteiligte zu 2) (=Finanzverwaltung), die rückständige Einkommenssteuern für die Jahre 1995 bis 1997 in einer Größenordnung von ca. 52.000 DM zuzüglich Säumniszuschläge geltend macht. Nachdem das gerichtliche Schulden-bereinigungsplanverfahren erfolglos durchgeführt worden ist, hat das Insolvenzgericht am 1. September 1999 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet und den Beteiligten zu 3) zum Treuhänder bestellt.

Mit Beschluss vom 8. Februar 2000 hat das Insolvenzgericht die Durchführung des Schlusstermins im schriftlichen Verfahren angeordnet und den Gläubigern Gelegenheit gegeben, zu dem Antrag auf Erteilung von Restschuldbefreiung Stellung zu nehmen. Die Beteiligte zu 2) hat mit Schriftsatz vom 1. März 2000 die Versagung der Restschuldbefreiung unter Hinweis darauf beantragt, der Schuldner habe für den Veranlagungszeitraum 1995 und 1996 die notwendigen steuerlichen Unterlagen nicht eingereicht. Die Besteuerungsgrundlagen seien deshalb im Schätzwege ermittelt worden, so dass die Voraussetzungen für einen teilweisen Steuerverzicht nach der Abgabenordnung nicht vorlägen.

Mit Beschluss vom 15. Mai 2000 hat das Insolvenzgericht durch die zuständige Richterin dem Schuldner gem. § 291 InsO die Restschuldbefreiung angekündigt und den Versagungsantrag der Beteiligten zu 2) zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Unterlassen der Abgabe der Steuererklärungen erfülle nicht den Tatbestand eines Versagungsgrundes nach §290 Abs. 1 InsO. Hiergegen hat die Beteiligte zu 2) mit einem am 31. Mai 2000 beim AG Bochum eingegangenen Schriftsatz vom 26. Mai 2000 sofortige Beschwerde erhoben, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat. Unter dem 10. Oktober 2000 hat das Landgericht die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und sich hierbei darauf gestützt, dass kein Versagungsgrund vorliege. Der Versagungsgrund des §290 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfasse nur schriftliche Angaben. Der Gesetzgeber habe in §290 Abs. 1 InsO die Versagungsgründe umfassend und abschließend geregelt.

Gegen diesen am 13. November 2000 zugestellten Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 2) mit der am 27. November 2000 bei Gericht eingegangenen sofortigen weiteren Beschwerde, verbunden mit einem Zulassungsantrag. Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Begriff "schriftlich" in §290 Abs. 1 Nr. 2 InsO beziehe sich nur auf die "unrichtigen Angaben" im Sinne dieser Vorschrift, nicht indes auf die "unvollständigen". Eine nicht abgegebene Steuererklärung sei wie eine unvollständige zu werten. Bei der Prüfung der Voraussetzungen für eine Versagung sei zudem zu berücksichtigen, dass die Vernachlässigung von steuerlichen Pflichten die Erlasswürdigkeit im Sinne der Abgabenordnung ausschließen könne. Insoweit habe der Gesetzgeber die Regelungen der Abgabenordnung und der Insolvenzordnung nicht aufeinander abgestimmt. Diese Abstimmung müsse die Rechtsprechung leisten.

2. a) (Ausführungen zur Zuständigkeit des OLG Köln)

b) Der Senat lässt das Rechtsmittel der weiteren Beschwerde gem. §7 Abs. 1 InsO zu. Das von dem Beteiligten zu 2) form- und fristgerecht angebrachte Rechtsmittel ist statthaft. Es liegt eine dem Rechtsmittel der sofortigen weiteren Beschwerde grundsätzlich zugängliche Ausgangsentscheidung des Landgerichts i. S. d. §7 InsO vor (vgl. zu diesem Erfordernis: BGH ZIP 2000, 755; Senat NZI 2000, 367=ZInsO 2000, 334=ZIP 2000, 1628, dazu EWiR 2000, 737 (Ahrens); Kirchhof, in: HK-InsO, 2. Aufl., 2001, §7 Rz. 5; jew. m. zahlreichen weiteren Nachw. aus der obergerichtlichen Rspr.). Das Landgericht hat über eine gem. §6 InsO zulässige Erstbeschwerde der Beteiligten zu 2) entschieden. Ist trotz eines Versagungsantrages die Restschuldbefreiung "angekündigt" worden, so steht gem. §289 Abs. 2 Satz 1 InsO jedem Gläubiger, der die Versagung beantragt hat, die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Insolvenzgerichts zu (Landfermann, in: HK-InsO, §289 Rz. 6; Kübler/Prütting/Wenzel, InsO, Stand: 8. Lfg. 11/2000, §289 Rz. 2; Krug/Haarmeyer, in: Smid, InsO, 1999, §289 Rz. 6).

Die weiteren Voraussetzungen für eine Zulassung des Rechtsmittels nach §7 Abs. 1 Satz 1 InsO sind ebenfalls gegeben. Der Beteiligte zu 2) stützt sein Rechtsmittel auf eine Verletzung des Gesetzes, und die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Die von der Beschwerdeführerin zur Entscheidung gestellten Fragen, ob die steuerliche Erlass- bzw. Stundungsunwürdigkeit nach §227 AO in das Verständnis des §290 Abs. 1 InsO einzubeziehen ist und ob die Nichtabgabe einer Steuererklärung zu einer Versagung der Restschuldbefreiung gem. §290 Abs. 1 Nr. 2 InsO führen kann, haben grundsätzliche Bedeutung. Diese bisher - soweit ersichtlich - noch nicht obergerichtlich geklärten Rechtsfragen können zur Vermeidung der Gefahr einander widersprechender Gerichtsentscheidungen im Rahmen einer Rechtsbeschwerde nach §7 InsO überprüft werden (vgl. allgemein hierzu: Senat NZI 2000, 80; Kirchhof, aaO, §7 Rz. 23; Wimmer/Schmerbach, InsO, 2. Aufl., 1999, §7 Rz. 16).

c) Die sofortige weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) ist indes nicht begründet. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts beruht nicht auf einer Verletzung des Gesetzes (§7 Abs. 1 Satz 2 InsO, §550 ZPO).

Die Voraussetzungen für die Ankündigung der Restschuldbefreiung (§291 Abs. 1 InsO) sind erfüllt. Der Antrag des Schuldners auf Erteilung der Restschuldbefreiung ist rechtzeitig und ordnungsgemäß gestellt worden (vgl. zu diesem Erfordernis: Senat, Beschl. v. 22. 1. 2001 -- 2 W 244/00; Senat ZIP 2001, 252=NZI 2000, 587, 588, dazu EwiR 2001, 127 (Pape); Gottwald/Schmidt-Räntsch, Insolvenzrechts-Handbuch, 2. Aufl., 2001, §77 Rz. 7).

Die Auffassung der Vorinstanzen, dem Antrag der Beteiligten zu 2) auf Versagung der Restschuldbefreiung sei nicht zu entsprechen, weil die Insolvenzgläubigerin keinen Versagungsgrund i. S. d. §290 Abs. 1 InsO glaubhaft gemacht habe, hält der rechtlichen Überprüfung durch den Senat stand. Der Versagungsgrund des §290 Abs. 1 Nr. 2 InsO, auf den die Beteiligte zu 2) ihren Antrag gestützt hat, ist nicht gegeben. Nach der genannten Vorschrift ist die Restschuldbefreiung auf Antrag eines Insolvenzgläubigers zu versagen, wenn der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, um einen Kredit zu erhalten, Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu beziehen oder Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden. Diese Vorschrift erfasst zwar auch die Abgabe unrichtiger oder unvollständiger steuerlicher Erklärungen (Landfermann, aaO, §290 Rz. 5; Wimmer/Ahrens, aaO, §290 Rz. 22; Krug/Haarmeyer, aaO, §290 Rz. 12). Es besteht gem. §90 Abs. 1 AO grundsätzlich eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung, durch vollständige und wahrheitsgemäße Offenlegung der für die Besteuerung erheblichen Tatsachen bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken. Insoweit können unvollständige Angaben eine Versagung der Restschuld rechtfertigen, wenn diese im Rahmen einer den Anschein der Vollständigkeit erweckenden Erklärung abgegeben werden und so durch Weglassen wesentlicher Umstände ein falsches Gesamtbild vermittelt wird (vgl. allgemein: Wimmer/Ahrens, aaO, §290 Rz. 18; Kübler/Prütting/Wenzel, aaO, §290 Rz. l0 a).

Entgegen der von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung liegen die Voraussetzungen für eine Versagung der Restschuldbefreiung indes dann nicht vor, wenn der Schuldner es unterlässt, überhaupt eine Erklärung zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen abzugeben. §290 Abs. 1 Nr. 2 InsO knüpft nach dem eindeutigen Wortlaut an fehlerhafte schriftliche Angaben des Schuldners an. Der Begriff "schriftlich" bezieht sich hierbei nicht nur ausschließlich auf die "unrichtigen", sondern auch auf die "unvollständigen Angaben". Der Gesetzgeber hat bei der Fassung dieser Vorschrift die Problematik einer fehlerhaften mündlichen Angabe bzw. eines vollständigen Unterlassens von Angaben gesehen. Er hat indes diese Fälle bewusst ausgeklammert und die Versagung auf fehlerhafte schriftliche Angaben beschränkt. Hierdurch wollte er eine Überfrachtung der gerichtlichen Entscheidung über die Gewährung oder Versagung der Restschuldbefreiung mit komplizierten Beweiserhebungen oder Ermittlungen verhindern (Begr. RegE, in: Kübler/Prütting, Das neue Insolvenzrecht, Bd. 1, 1994, S. 539; Goetsch, in: Breutigam/Blersch/Goetsch, InsO, Stand: 1998, §290 Rz. 7; Kübler/Prütting/Wenzel, aaO, §290 Rz. 11; Römermann, in: Nerlich/Römermann, InsO, §290 Rz. 43).

Entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 2) kann ebenso wenig das Kriterium einer steuerliche Erlass- bzw. Stundungsunwürdigkeit i. S. d. §227 AO als Versagungsgrund herangezogen werden. Die Möglichkeiten für eine Versagung der beantragten Restschuldbefreiung hat der Gesetzgeber in §290 Abs. 1 InsO geregelt. Hierbei hat er nicht nur Verhaltensweisen vor oder während des Insolvenzverfahrens, sondern auch außerverfahrensmäßige Verhaltensweisen berücksichtigt, die nach seiner Auffassung mit dem Kriterium der Würdigkeit eines redlichen Schuldners nicht vereinbaren lassen. Bei den in der Vorschrift aufgeführten Fallgruppen handelt es sich indes nicht um erweiterbare Regelbeispiele. Vielmehr sind die Versagungsgründe abschließend aufgezählt. Auf andere, von den dort genannten Tatbeständen nicht erfasste Umstände kann eine Versagung der Rest-schuldbefreiung nicht gestützt werden (Landfermann, aaO, §290 Rz. 2; Wimmer/Ahrens, aaO, §290 Rz. 5; Hess, InsO, 1999, §290 Rz. 24; Krug/Haarmeyer, aaO,§290 Rz. 2; Kübler/Prütting/Wenzel, aaO, §290 Rz. 2; Römermann, aaO, §290 Rz. 25). Diese Gesetzestechnik der enumerativen Beschreibung der Versagungsgründe ist zwar in der Literatur vereinzelt als unzweckmäßig kritisiert worden (Döbereiner, Die Restschuldbefreiung nach der Insolvenzordnung, 1997, S. 118 f.). Der Gesetzgeber hat jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit von der Schaffung einer Generalklausel abgesehen und diesen Weg gewählt, damit die am Insolvenzverfahren Beteiligten von vornherein wissen, unter welchen Bedingungen Restschuldbefreiung erreicht werden kann oder in jedem Fall versagt werden muss. Die Umschreibung der verschiedenen Fallgruppen mit ihren Eigentümlichkeiten soll der Gerechtigkeit dienen und zugleich verhindern, die Entscheidung über die Schuldbefreiung in ein weites Ermessen des Insolvenzgerichts zu stellen (Begr. RegE, in: Kübler/Prütting, aaO, S. 538).

Kommentar:

Im vorliegenden Fall ging es um DM 52.000,- nicht bezahlte Einkommensteuer, die vom Finanzamt im Wege der Schätzung festgesetzt wurde ( mangels abgegebener Steuererklärung ). Auf Umsatzsteuer als Insolvenzforderung ist das Ergebnis dieses Beschlusses nicht ohne Weiteres zu übertragen, wenn der Schuldner z.B. tatsächlich Waren verkauft hat, die Umsatzsteuer vom Kunden kassiert hat und diese Umsatzsteuer ( im Grunde genommen ein reiner Durchlaufposten ) dann nicht an das Finanzamt abgeführt hat, wie es im Zusammenbruch von Unternehmen häufiger vorkommt

Es handelt sich um eine ausserordentlich wichtige Entscheidung für alle ehemals selbständigen Schuldner, die für die letzten Veranlagungsjahre ihrer selbständigen Tätigkeit keine Steuererklärung abgegeben haben. In der Regel lag das Problem vor, dass keine Gelder für die Beauftragung eines Steuerberaters mehr vorhanden waren oder aber der Steuerberater wegen nicht bezahlter Rechnungen für die Vorjahre die Belege für das laufende Jahr nicht herausgegeben hat. In der Regel kam es dann zu Schätzungen des Finanzamtes, die bestandskräftig wurden, weil der Schuldner ihnen nicht durch eine eigene Steuererklärung entgegentreten konnte. Der durch Schätzung festgesetzte Steuerbetrag liegt dabei durchweg erheblich höher als die Steuer, die tatsächlich zu zahlen gewesen wäre.

Vielfach hat auch der Vermieter eines Geschäftslokals wegen Mietrückständen von seinem Pfandrecht Gebrauch gemacht und alle in seinem Mietobjekt befindlichen Mobilien des Schuldners verwertet und die Geschäftsunterlagen des Schuldners dem Altpapier zugeführt. Das letztere ist zwar theoretisch nicht erlaubt, praktisch aber vielfach üblich.

Auf jeden Fall kann der Schuldner in einer Vielzahl von Fällen de facto eine richtige Steuererklärung mit den entsprechenden Belegen nicht mehr vorlegen. Auf der anderen Seite ist er nach der AO zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet.

Die Finanzverwaltung NRW hat nun versucht, daraus einen Versagungsgrund für die Restschuld-befreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO ( ... unvollständige Angaben gemacht hat, um ... Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden, ... ) zu konstruieren. Dies ist ihr offensichtlich nach dieser Ent-scheidung des OLG Köln nicht gelungen.

Daraus folgt, dass der Schuldner nicht die 3-Jahresfrist des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO abwarten muss, um einen erfolgreichen Antrag auf Restschuldbefreiung stellen zu können, falls er nicht alle Steuererklärungen abgegeben hat.

Das Gericht interpretiert den § 290 InsO streng am Wortlaut orientiert. Hätte der Schuldner in diesem Fall z.B. eine nachweislich unvollständige Steuererklärung tatsächlich abgegeben, so wäre ein darauf gestützer Versagungsantrag des Finanzamtes u.U. erfolgreich, da es sich um eine schriftliche Erklärung handelt und der § 290 InsO damit wieder anwendbar ist.

Michael Schütz