Keine vorzeitige Restschuldbefreiung bei Gläubigerbefriedigung während der Wohlverhaltensperiode

28.01.2002

AG Köln, Beschluß vom 28. 1. 2002 - 71 IK 1 / 00

Leitsätze des Kommentators:

1. Versagungsanträge nach § 295 InsO können nur diejenigen Insolvenzgläubiger stellen, die im Schlussverzeichnis aufgeführt sind.

2. Im Gegensatz dazu sind zur Stellung eines Versagungsantrags nach §§ 296, 297 InsO auch diejenigen Insolvenzgläubiger berechtigt, die nicht im Schlussverzeichnis aufgeführt sind.

3. Auch bei Tilgung der Verbindlichkeiten sämtlicher im Schlussverzeichnis aufgeführten Insolvenzgläubiger vor dem Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung kommt die Erteilung der Restschuldbefreiung nicht in Betracht, wenn der Schuldner die Gläubiger durch Aufnahme eines Kredits während der Wohlverhaltensperiode befriedigt hat.

AG Köln, Beschluß vom 28. 1. 2002 - 71 IK 1 / 00

Fundstelle: NZI 2002, 218 - 219

Zum Sachverhalt:

Am 30. 12. 1999 stellte der Schuldner den Antrag, das Insolvenzverfahren über sein Vermögen zu eröffnen. Er legte gleichzeitig einen Schuldenbereinigungsplan vor und beantragte, ihm Restschuldbefreiung zu erteilen. Durch Beschluss vom 21.3.2000 hat das Gericht festgestellt, dass der Schuldenbereinigungsplan nicht angenommen worden ist und das Verfahren wieder aufgenommen. Durch weiteren Beschluss vom 26. 5. 2000 hat das Gericht das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt Dr. S zum Treuhänder bestellt. Im Schlusstermin vom 6. 12. 2000 hat das Gericht folgenden Beschluss verkündet:

"Der Schuldner erlangt Restschuldbefreiung, wenn er in der Laufzeit seiner Abtretungserklärung vom 30.12.1999 den Obliegenheiten nach § 295 InsO nachkommt und die Voraussetzungen für eine Versagung nach § 297 oder § 298 InsO nicht vorliegen …"

Durch Beschluss vom 11. 1. 2001 hat das Gericht das Insolvenzverfahren aufgehoben, weil die Schlussverteilung vollzogen worden sei. Mit Schreiben vom 20. 8. 2001 stellte der Schuldner den Antrag, ihm vorzeitig Restschuldbefreiung zu erteilen, weil alle Insolvenzgläubiger vollständig befriedigt worden seien. Er habe bei seinem Arbeitgeber ein Darlehen aufgenommen und den Darlehensbetrag dem Treuhänder zur Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung gestellt. Dieser habe mit diesem Betrag alle Insolvenzgläubiger vollständig befriedigt. Durch Beschluss vom 5. 10. 2001 hat der Rechtspfleger des erkennenden Gerichts den "Antrag des Schuldners vom 20.8.2001 auf Erteilung der Restschuldbefreiung vor Ablauf der im Restschuldbefreiungs-ankündigungsbeschluss vom 6.12.2000 genannten Frist von fünf Jahren" zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss legte der Schuldner mit Schreiben vom 22. 10. 2001 Beschwerde ein. Durch Beschluss vom 25. 10. 2001 hat der Rechtspfleger dieser Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem LG Köln zur Entscheidung vorgelegt. Durch Beschluss vom 8. 11. 2001 hat das LG den Vorlagebeschluss aufgehoben und die Sache zur Entscheidung an den Richter bei dem AG verwiesen.

Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

II. Die Erinnerung ist gem. § 11 I 1, II RPflG zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat der Rechtspfleger den Antrag des Schuldners auf vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung wegen vollständiger Befriedigung der Insolvenzgläubiger während der Wohlverhaltensperiode zurückgewiesen, weil insoweit die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Während nach österreichischem Recht eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung bereits dann in Betracht kommt, wenn drei Jahre der Laufzeit der Abtretungserklärung verstrichen sind und die Konkursgläubiger während des Konkurs- und Abschöpfungsverfahrens zumindest 50% der Forderungen erhalten haben (vgl. Deixler/Hübner, PrivatkonkursR, 1996, Rdnr. 182), enthält die InsO weder für diesen Fall noch für den Fall einer vollständigen Befriedigung sämtlicher Insolvenzgläubiger vor Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung eine entsprechende Regelung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass damit der Weg zu der vom Schuldner beantragten Entscheidung von vornherein verschlossen ist. Nur dann, wenn die Ausklammerung der Fälle einer vorzeitigen Befriedigung sämtlicher Insolvenzgläubiger während der Wohlverhaltensperiode aus dem Katalog der Erteilung der Restschuldbefreiung einem maßgeblichen Plan des Gesetzes bzw. Gesetzgebers entspricht, besteht eine - zu ergänzende - Regelungslücke nicht. Liegt es dagegen nicht im Willen des Gesetzgebers, auch Sachverhalte wie den hier in Rede stehenden von der Erteilung der Restschuldbefreiung vor Ablauf der Laufzeit der Abtretungserklärung auszuschließen, ist der Weg zu einer richterlichen Lückenergänzung nicht von vornherein verschlossen.

In der Literatur wird hierzu allgemein die Ansicht vertreten, bei einer Tilgung sämtlicher Verbindlichkeiten werde das Restschuldbefreiungsverfahren vorzeitig beendet (vgl. statt vieler Hess/Weis/Wienberg, InsO, 2. Aufl., § 299 Rdnr. 2 m.w. Nachw.). Döbereiner (Die Restschuldbefreiung nach der InsO, 1997, S. 222) und Landfermann (in: Heidelberger Komm. z. InsO, § 299 Rdnr. 2) gehen insoweit noch einen Schritt weiter, als sie einen deklaratorischen Beschluss für erforderlich halten, in dem das Insolvenzgericht die Beendigung des Verfahrens und dessen Wirkungen in Anlehnung an § 299 InsO ausspricht. Dagegen findet sich - soweit ersichtlich - keine Meinung, die bei vollständiger Befriedigung der Insolvenzgläubiger während der Wohlverhaltensperiode eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung für zulässig erachtet.

Gegen die vom Schuldner beantragte Entscheidung spricht zunächst der Umstand, dass sie in erheblicher Weise in die Rechtsposition vor allem derjenigen Insolvenzgläubiger eingreift, die nicht am Insolvenzverfahren teilgenommen haben und aus diesem Grunde nicht in das Schlussverzeichnis aufgenommen worden sind. Dabei kann dahinstehen, ob die Nichtaufnahme von Insolvenzgläubigern in das Schlussverzeichnis auf Nachlässigkeit oder Vorsatz des Schuldners beruht. Diesen Gläubigern würde die Möglichkeit genommen, einen Versagungsantrag zu stellen und damit den Verlust ihrer Forderungen auf Grund der Regelung in § 301 InsO zu verhindern. Entgegen der Ansicht des Schuldners sind auch diejenigen Insolvenzgläubiger, die nicht am Insolvenzverfahren teilgenommen haben, zur Stellung eines Versagungsantrags im Restschuld-befreiungsverfahrens befugt. Denn das Gesetz unterscheidet insoweit nicht. Vielmehr stellen sowohl § 296 InsO als auch § 297 InsO lediglich auf die Stellung als Insolvenzgläubiger ab.

Insolvenzgläubiger sind aber diejenigen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (§ 38 InsO), ohne dass es darauf ankommt, ob sie ihre Forderung im Insolvenzverfahren angemeldet haben. Berücksichtigt man darüber hinaus, dass der Versagungsantrag es den Gläubigern ermöglichen soll, ihre Rechte zu wahren, die durch die Erteilung der Restschuldbefreiung und die daraus resultierende Umwandlung der Restforderungen in Naturalobligationen beeinträchtigt werden, würde es eine sachlich nicht gerechtfertigte Schlechterstellung dieser Gläubiger gegenüber den im Schlussverzeichnis eingetragenen Insolvenzgläubigern bedeuten, wenn allein die Forderungsanmeldung und Aufnahme in das Schlussverzeichnis ein Recht zur Stellung eines Versagungsantrags gewähren würde. Dies gilt umso mehr, wenn der Schuldner Maßnahmen ergreift, die eine Kenntnisnahme von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erschweren oder gar verhindern sollen.

Soweit der Beschwerdeführer darauf hinweist, dass die Versagung der Restschuldbefreiung nach § 296 InsO unter anderem die Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung voraussetze, die bei einer vollständigen Befriedigung der im Schlussverzeichnis aufgeführten Insolvenzgläubiger nicht möglich sei, ist dem beizupflichten. Diese Argumentation lässt indes außer Acht, dass es auf dieses Tatbestandsmerkmal bei einem auf § 297 InsO gestützten Versagungsantrag nicht ankommt.

Letztlich scheitert eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 300 I 1 InsO daran, dass es an einer vergleichbaren Interessenlage auf Seiten des Schuldners und Rechtsmittelführers fehlt. Denn der Schuldner ist gerade nicht mit einer Person vergleichbar, die die Wohlverhaltensperiode durchlaufen hat. Dies ergibt sich daraus, dass der Insolvenzschuldner nach Durchlaufen der Wohlverhaltensperiode im Regelfall auf einen wirtschaftlichen Neuanfang setzen kann, weil er von den im Insolvenzverfahren nicht befriedigten Forderungen befreit ist. Würde dem Schuldner bei vollständiger Befriedigung der Insolvenzgläubiger auf Grund einer Darlehensaufnahme vorzeitig Restschuldbefreiung erteilt, liefe diese Entscheidung dem Sinn und Zweck des Gesetzes entgegen. Denn die Restschuldbefreiung soll dem Schuldner einen Ausstieg aus der lebenslangen Schuldhaftung und damit einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglichen (vgl. Beschl.-Fassung und Bericht des RAusschusses zu dem GesetzE der BReg.; BT-Dr 12/2443, und BT-Dr 12/7302, abgedr. bei Uhlenbruck, Das neue InsolvenzR, S. 292). Davon kann bei einem Gläubigerwechsel, bei dem der Kreditgeber an die Stelle der ursprünglichen Gläubiger getreten ist, keine Rede sein (ähnl. Döbereiner, S. 21; Dieckmann, in: Leipold, InsolvenzR im Umbruch, 1991, S. 135). Der bloße Gläubigerwechsel rechtfertigt nicht die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung; denn an der wirtschaftlichen Situation des Schuldners ändert sich nichts Grundlegendes; er bleibt weiterhin verschuldet.

Kommentar:

Der tiefere Sinn dieses Beschlusses erschliesst sich dem Kommentator leider nicht. Es ist aber zu vermuten, dass das AG Köln ganz allgemein ( wie schon bei anderen Fragestellungen ) darauf aufmerksam machen wollte, dass beim Ablauf der Wohlverhaltensperiode noch manche Dinge ungeklärt sind. So gibt es zu der Frage, was passieren soll, wenn ( unerwarteterweise z.B. durch eine angefallene Erbschaft ) während der Wohlverhaltensperiode alle Forderungen der Insolvenzgläubiger vollständig erfüllt werden, in der Insolvenzordnung keine Antwort. Das Gesetz sieht hier vom Wortlaut her keine Verkürzungsmöglichkeit vor. Vom Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens her erscheint es jedoch unsinnig, die Abtretung an den Treuhänder bis zum vorherbestimmten Ende weiterlaufen zu lassen. Die Gläubiger würden dann auf ihre vollständig befriedigten Forderungen weitere Zahlungen erhalten.

Ähnlich liegt der Fall hier. Durch ein Darlehen des Arbeitgebers hat der Schuldner alle noch offenen Forderungen derjenigen Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen angemeldet hatten und folglich im Schlussverzeichnis aufgeführt sind, vollständig beglichen. Offenbar gibt es aber noch weitere Gläubiger, die der Schuldner nicht benannt hat und die die öffentlichen Bekanntmachungen nicht zur Kenntnis genommen haben. Das Gericht spricht dunkel davon, dass der Schuldner Massnahmen ergriffen hat, die eine Kenntnisnahme von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erschweren oder sogar verhindern sollten. Es ist völlig unklar, wie ein Schuldner solche Massnahmen ergreifen könnte. Richtig ist allerdings, dass vom Schuldner nicht benannte Gläubiger, die nicht professionell vertreten sind, in der Praxis wenig Chancen haben, von dem ihnen drohenden Forderungsverlust nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu erfahren. Ist der Schlusstermin verstrichen, können sie auch den eigentlich in diesen Fällen zulässigen Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO nicht mehr geltend machen.

Wie das AG Köln zutreffend erkannt hat, bliebe diesen nicht benannten Gläubigern aber in der Wohlverhaltensperiode noch die Möglichkeit, einen Versagungsantrag nach § 297 InsO zu stellen, wenn der Schuldner während der Laufzeit der Abtretungserklärung noch wegen einer Insolvenzstraftat rechtskräftig verurteilt wird. In vorliegendem Fall ist allerdings nicht bekannt, ob überhaupt noch nicht geahndete Insolvenzstraftaten vorliegen. Nur wenn diese Straftaten vorliegen und noch nicht verjährt sind, kann § 297 InsO zur Anwendung kommen.

Dem AG Köln ging es vermutlich auch um den Schutz der nicht benannten Gläubiger, die somit noch für ein paar Jahre die theoretische Möglichkeit haben, die Restschuldbefreiung zu Fall zu bringen. Für den Schuldner ist das Ergebnis tragisch: obwohl alle Forderungen derjenigen Gläubiger, die im Schlussverzeichnis aufgeführt sind, vollständig befriedigt sind, muss noch der pfändbare Teil seines Einkommens für mehrere Jahre an den Treuhänder abgeführt werden. Der Arbeitgeber ist rechtlich Neugläubiger und kann bis zum Ende der Wohlverhaltensperiode mit dem pfändbaren Teil des Lohnes nicht aufrechnen. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Situation das Arbeitsverhältnis stark gefährdet. Was die Gläubiger mit dem ihnen eigentlich nicht mehr zustehenden Geld machen, das ihnen vom Treuhänder zufliessen wird, ist unklar. Vermutlich handelt es sich dann um eine Schenkung des Schuldners.

Nach diesem Beschluss sollte das Ergebnis eine dringende Warnung an alle Schuldner sein, während der Wohlverhaltensperiode die verbliebenen Gläubiger ohne Rücksprache mit dem Gericht zu befriedigen. Nur wenn das Gericht signalisiert, dass es danach das Verfahren ganz aufhebt, kann eine solche Zahlung sinnvoll sein. Zwar haben andere Gerichte, wie z.B. die AG Düsseldorf, Rosenheim und Frankfurt/Main ( siehe dazu ZInsO 2002, S. 306 ) bei einer vergleichbaren Sachlage zu Gunsten des Schuldners entschieden, aber bei dieser Fragestellung kann es mangels Zulässigkeit weiterer Rechtsmittel nicht zu einer obergerichtlichen Klärung kommen. Der Richter des Insolvenzgerichtes entscheidet abschliessend und unanfechtbar über die Frage, ob nach einer Vollbefriedigung der Gläubiger das Verfahren aufzuheben ist oder nicht.

Michael Schütz

13.5.2002