AG Köln lehnt die Umsetzung des Beschlusses des OLG Köln zur Sicherung des Existenzminimums des Schuldners im Insolvenzverfahren ab.

22.12.2000

AG Köln, Beschluss vom 22.12.2000 - 71 IK 4 / 99

Leitsatz:
Trotz des eindeutigen Beschlusses des OLG Köln vom 16.10.2000 - 2 W 189 / 00 - ( NZI 2000, 590 - 592 ) des Inhalts, dass das Insolvenzgericht über einen Antrag des Schuldners zur Sicherstellung des Existenzminimums nach § 850 ff. ZPO im eröffneten Insolvenzverfahren entscheiden muss, lehnt es das Insolvenzgericht Köln weiterhin grundsätzlich ab, über einen solchen Antrag zu entscheiden, da eine formelle Zuständigkeitsfestlegung in der Insolvenzordnung fehlt. Das AG Köln fordert die Aufnahme einer solchen formellen Regelung in das InsO-Reformgesetz.

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Aus den Gründen:

I.

Durch Beschluss vom 1.6.1999 wurde auf Antrag des Schuldners über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet und Herr Rechtsanwalt X. zum Treuhänder gemäß § 313 InsO ernannt. Am 15.2.2000 beantragte der Schuldner bei dem Insolvenzgericht, seine jetzige Ehefrau bei der Berechnung der an den Treuhänder abzuführenden pfändbaren Beträge gemäß § 850 c ZPO als unterhaltsberechtigte Person rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Beginns des Insolvenzverfahrens zu berücksichtigen. Der Rechtspfleger hat hierauf eine Gläubigerversammlung auf den 3.5.2000 bestimmt, in der gemäß § 100 InsO über die Gewährung von Unterhalt an den Schuldner und seine Familie bzw. über eine Änderung des früheren Beschlusses der Gläubigerversammlung wegen veränderter Umstände entschieden werden sollte. Nachdem diese Versammlung wegen fehlender Anwesenheit der Gläubiger nicht zustande gekommen war, hat der Rechtspfleger mit Beschluss vom 5.5.2000 den Antrag des Schuldners als unzulässig mit der Begründung zurückgewiesen, für die Entscheidung über diesen Antrag sei das Insolvenzgericht funktionell nicht zuständig. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde vom 12.5.2000 hat der Rechtspfleger als sofortige Beschwerde gemäß §§ 4 InsO, 793 ZPO ausgelegt und dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt. Das Landgericht hat durch Beschluss vom 14.7.2000 - 19 T 65/00 – die Beschwerde zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss hat der Schuldner am 21.7.2000 sofortige weitere Beschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 16.10.2000 hat das Oberlandesgericht Köln – 2 W 189/00 – den Beschluss des Landgerichts Köln aufgehoben und die Sache unter Aufhebung der Vorlageverfügung des Rechtspflegers an diesen zurückgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Rechtspfleger habe gemäß § 11 Abs. 2 S. 2 RPflG zunächst darüber zu befinden, ob er dem Rechtsbehelf des Schuldners gegen seine Entscheidung vom 5.5.2000 abhilft. Nur wenn die Voraussetzungen für die Abhilfe nicht gegeben seien, habe nach § 11 Abs. 2 S. 3 RPflG eine Vorlage an den Richter des Insolvenzgerichts zu erfolgen. Bei seiner Entscheidung habe das Amtsgericht zu bedenken, dass es sachgerecht erscheine, dem Schuldner in entsprechender Anwendung des § 850 f oder § 850 g ZPO die Möglichkeit einzuräumen, bei Änderung der maßgeblichen Umstände und Weigerung des Treuhänders, des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung eine Erhöhung des Unterhalts zu bewilligen, durch Beschluss eine Entscheidung des Insolvenzgerichts über den unpfändbaren Betrag bzw. die Unpfändbarkeitsvoraussetzungen herbeizuführen.

Der Rechtspfleger hat der Erinnerung vom 12.5.2000 gegen seinen Beschluss vom 5.5.2000 nicht abgeholfen und sie dem Richter zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die Erinnerung gegen den Beschluss des Rechtspflegers ist gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 RPflG zulässig, in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

 

1.
Mit Recht hat der Rechtspfleger den Antrag des Schuldners vom 15.2.2000, seine jetzige Ehefrau bei der Berechnung der an den Treuhänder abzuführenden pfändbaren Beträge gemäß § 850 c ZPO als unterhaltsberechtigte Person rückwirkend ab dem Zeitpunkt des Beginns des Insolvenzverfahren zu berücksichtigen, als unzulässig zurückgewiesen. Das Insolvenzgericht kann in dem Streit zwischen dem Treuhänder und dem Schuldner über die Bewilligung einer Erhöhung des Unterhalts eine verbindliche Entscheidung nicht treffen. Es ist hierfür gesetzlich nicht zuständig.

2.
Während in der Einzelzwangsvollstreckung die Härteklausel des § 850 f ZPO die Festlegung eines zusätzlichen Freibetrages ermöglicht, enthält die Insolvenzordnung keine Vorschrift, die es dem Insolvenzgericht erlaubt, auf Antrag des Schuldners anzuordnen, dass ihm von dem nach den Bestimmungen der §§ 850 c, 850 d und 850 i ZPO pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens ein Teil verbleibe. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass die strukturelle Gemeinsamkeit von Einzelvollstreckung und einem als Gesamtvollstreckung begriffenen Insolvenzrecht ( Smid, Grundzüge, Einf. Rdn. 5 ) es zulässt, das vom Insolvenzbeschlag erfasste pfändbare Arbeits-einkommen einer Beschränkung ähnlich wie in der Einzelzwangsvollstreckung zu unterwerfen. Dies gilt um so mehr, als eine am Leitgedanken des § 850 f ZPO orientierte Regelung auch dem Sozialschutz dienen würde, indem sie eine zu Lasten des Sozialhilfeträgers gehende "Kahlpfändung" des Schuldners verhindert ( Kohte/Ahrens/Grote, InsO, § 287 Rdn. 62 m.w.N. ). Solange jedoch eine gesetzliche Grundlage für eine Entscheidungsbefugnis des Insolvenzgerichts mit der Möglichkeit der Anfechtung der Entscheidung fehlt, ist es Aufgabe der Gläubigergemeinschaft, der Notwendigkeit einer Erweiterung des Pfändungsschutzes Rechnung zu tragen. § 100 InsO schafft insoweit allerdings keine sichere Grundlage. Denn die Bestimmung räumt dem Schuldner auch für den Fall seiner Bedürftigkeit keinen klagbaren Anspruch ein. Vielmehr entscheidet die Gläubigerversammlung darüber nach freiem Ermessen ( FK-InsO/App, § 100 Rdn. 2 ). Im übrigen ist zu erwarten, dass sich die Gläubiger auf den Standpunkt stellen, eine Erweiterung des Pfändungsschutzes sei entbehrlich, weil Unterhaltspflichten gemäß § 850 c ZPO die Pfändungsfreibeträge ohnehin erhöhen würden.

Dass im Einzelfall aber ein dringendes Bedürfnis zur Anhebung des Pfändungsfreibetrages bestehen kann, bedarf keiner weiteren Ausführungen ( vgl. LG Offenburg NZI 2000, 277; Vallender, InVo 1999, 334, 339; Mäusezahl, ZInsO 2000, 193; Winter, Rpfleger 2000, 149; Ott/Zimmermann , ZInsO 2000, 421, 425 ). Zwar hätte der Treuhänder aufgrund des auf ihn übergegangenen Verwaltungs- und Verfügungsrechts über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen die Rechtsmacht, nach entsprechendem "Antrag" des Schuldners einen bestimmten Betrag an diesen freizugeben. Damit läuft er jedoch Gefahr, sich Schadensersatzansprüchen der Gläubiger auszusetzen. Diese könnten sich auf den Standpunkt stellen, nach der klaren gesetzlichen Regelung des § 36 InsO umfasse der Insolvenzbeschlag das gesamte nicht dem Pfändungsschutz des § 850 c ZPO unterliegende Vermögen des Schuldners, so dass die Freigabe durch den Treuhänder ohne Zustimmung der Gläubiger-versammlung eine Pflichtverletzung im Sinne des § 60 InsO darstelle ( Vallender, a.a.O. ).

Soweit in Rechtsprechung und Literatur die Ansicht vertreten wird, dem Schuldner in entsprechender Anwendung des § 850 f oder § 850g ZPO die Möglichkeit einzuräumen, bei Änderung der maßgeblichen Umstände und Weigerung des Treuhänders, des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung, eine Erhöhung des Unterhalts zu bewilligen, durch Beschluss eine Entscheidung des Insolvenzgerichts über den unpfändbaren Betrags bzw. die Unpfänd-barkeitsvoraussetzungen herbeizuführen ( OLG Köln, Beschl. v. 16.10.2000 – 2 W 189 / 00 - ; vgl. ferner OLG Köln ZInsO 2000, 499, 501 = NZI 2000, 529; OLG Frankfurt NZI 2000, 531, 532; Hintzen, Rpfleger 2000, 312, 314; Steder, ZIP 1999, 1874, 1880 ), kann sich das Gericht dieser Auffassung nicht anschließen. Dabei verkennt es keineswegs, dass vor allem Zweck-mäßigkeitsgründe für eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts sprechen, solche Entscheidungen in dem vom Vollstreckungsgericht zu beachtenden Verfahren zu treffen. Denn das Insolvenzgericht kennt die Verhältnisse des Schuldners und kann deshalb rasch und kostengünstig sachgerechte Beschlüsse fassen, ggfls. auch abändern. Das Gericht sieht aber in den Grenzen des geltenden Rechts keine Möglichkeit zur Entscheidung. Gegen eine entsprechende Anwendung der vorgenannten Bestimmungen spricht der Umstand, dass die subsidiäre Verweisung des § 4 InsO auf die Vorschriften der ZPO die bei der Gestaltung des gerichtlichen Verfahrens zu beachtenden allgemeinen Regeln betrifft, nicht aber die Frage der Zuständigkeit des Insolvenzgerichts für Entscheidungen, die in der ZPO anderen Gerichten zugewiesen sind. ( vgl. AG Duisburg NZI 2000, 385, 386 ).

Soweit in jüngster Zeit in vergleichbaren Zusammenhängen eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts aus dem Gesichtspunkt der größeren Sachnähe oder aus dem Zusammenhang mit dem Eröffnungsbeschluss hergeleitet wurde ( vgl. AG Aachen, Beschl. v. 13.7.2000 – 19 IK 29/99; Grote, ZInsO 2000, 490, 491; Mäusezahl, ZInsO 2000, 193 ; Stephan, ZInsO 2000, 376, 381 ), führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Art. 101 Abs. 2 GG steht einer solchen Handhabung entgegen ( vgl. OLG Köln NJW-RR 1998, 1689 ). Klarheit kanninsoweit nur der Gesetzgeber schaffen. Der Hinweis im Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, der einen Regelungsbedarf zur Klarstellung der Anwendbarkeit der §§ 850 ff. ZPO im Insolvenzverfahren auf Grund der anstehenden Erhöhung der Pfändungsfreigrenzen für gegenstandslos hält, vermag nicht zu überzeugen. Angesichts der bevorstehenden Änderung der Insolvenzordnung böte es sich an, in die Insolvenzordnung eine Regelung aufzunehmen , dass die §§ 850 ff. ZPO im Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren analoge Anwendung finden und das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners oder des Treuhänder hierüber entscheidet. Angesichts der unterschiedlichen Auffassungen zu der vorgenannten Problematik schüfe eine solche Regelung mehr Rechtsklarheit und Rechtssicherheit.

3.
Durch diese Entscheidung ist der Schuldner zwar nicht schutzlos gestellt. Denn er hat die Möglichkeit, den Streit mit dem Treuhänder über die Zugehörigkeit eines Vermögensgegenstandes zur Insolvenzmasse vor dem Prozessgericht auszutragen ( vgl. BGH NJW 1985, 976 = KTS 1985, 96, 97 = ZIP 1984, 1501 zum früheren Konkursrecht ). Denn bei diesem Streit handelt es sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit i. S. d. § 13 GVG. An dieser prozessualen Rechtslage hat die Insolvenzordnung nichts geändert ( AG Duisburg NZI 2000, 385; Nerlich/Römermann/Andres, InsO, § 35 Rdn. 94 ). Da Zivilrechtsstreitigkeiten über die Massezugehörigkeit eines Vermögens-gegenstandes unter Umständen länger als ein eröffnetes Verbraucherinsolvenzverfahren dauern, eröffnet sich jedoch durch eine Klage vor dem Zivilgericht für keinen der Beteiligten eine zufriedenstellende Perspektive. Dieser Umstand zeigt um so mehr, dass dringend gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht.

Beschluss des AG Köln vom 22.12.2000 - 71 IK 4 / 99 ( Dr. Heinz Vallender )

Fundstelle: bisher keine Veröffentlichung in den Printmedien

Kommentar:

Während bisher die Fachwelt glaubte, durch die Grundsatzentscheidung des OLG Köln in eben diesem Verfahren vom 16.10.2000 - 2 W 189 / 00 - und eine ebensolche des OLG Frankfurt - 26 W 61 / 00 - sei die Frage, welches Gericht jetzt über das Existenzminimum des Schuldners im eröffneten Insolvenzverfahren entscheiden müsse, endgültig geklärt, wird durch die obige Entscheidung von Dr. Heinz Vallender höchstpersönlich, einer anerkannten Kapazität des deutschen Insolvenzrechts, alles wieder in Frage gestellt. Gegen diese Entscheidung sind keine Rechtsmittel mehr gegeben und somit ist nun zumindest im Bereich des AG Köln überhaupt niemand mehr für diese Entscheidungen zuständig.

Franz Kafka hätte an diesem Insolvenzverfahren seine helle Freude gehabt. Wer wissen will, wie sich der Schuldner jetzt fühlt, kann dies in Kafkas Roman "Der Prozess" sehr gut nachlesen. Überdies zeigt dieser Beschluss, dass ein eröffnetes Verbraucherinsolvenzverfahren auch weit über 20 Monate dauern kann, wenn strittige Rechtsfragen auftauchen.

Die rechtsvereinheitlichende Wirkung von OLG-Beschlüssen, auf die der Gesetzgeber gebaut hatte, wird durch solche unanfechtbaren Beschlüsse der Insolvenzrichter ad absurdum geführt. Dabei ging es in diesem Verfahren um die verhältnismässig einfach zu beantwortende Frage, ob die Ehefrau des Schuldners bei der Berechnung des pfändbaren Betrages zu berücksichtigen ist oder nicht. Inhaltlich hat sich mit dieser Frage in diesem Verfahren noch kein Gericht befasst, es ging immer nur um das Hin- und Herschieben von Zuständigkeiten. Ein anschauliches Beispiel für die "Fürsorge", die das Insolvenzgericht dem Schuldner angedeihen lässt !

Natürlich ist dem Verfasser dieses Beschlusses beizupflichten, dass eine gesetzliche Klarstellung in der Insolvenzordnung vorteilhaft wäre. Nur hat das Reformgesetz inzwischen das Stadium eines Regierungsentwurfes erreicht und es ist eher unwahrscheinlich, dass hier noch gravierende Änderungen vorgenommen werden. Schliesslich haben in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Insolvenzrecht genügend Experten mitgearbeitet und diese haben hier ( zu Unrecht, wie sich jetzt herausstellt ) darauf vertraut, dass die Insolvenzgerichte in dieser entscheidenden Frage die rechtsvereinheitlichenden Grundsatzbeschlüsse der OLGs auch in der Praxis umsetzen.

Michael Schütz