OLG-Beschluss über das Fortbestehen der Verrechnungsbefugnis gemäss § 52 SGB I im Insolvenzverfahren

10.04.2001

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 10.4.2001 - 4 Z BR 23 / 00

Leitsätze des BayObLG:

  1. Das gesetzgeberische Ziel der Gläubigergleichbehandlung ( § 1 InsO ) hat bei drohender oder eingetretener Zahlungsunfähigkeit Vorrang vor dem Ziel der Verwaltungsvereinfachung und engen Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger ( § 52 SGB I ).
  2. Der in § 114 Abs. 2 InsO auch zu Gunsten eines Sozialleistungsträgers vorgesehene Schutz einer Aufrechnungs-lage umfasst nicht den Schutz einer Verrechnungslage nach § 52 SGB I, d. h. der Sozialleistungsträger kann mit eigenen Gegenansprüchen, aber nicht mit solchen eines Dritten gegen den Anspruch auf laufende Bezüge aufrechnen.

Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 10.4.2001 - 4 Z BR 23 / 00

Fundstelle: NZI 2001, Heft 6, Seite VI in NZI aktuell

Ebenso: LG Göttingen, Beschluss vom 16.01.2001 - 10 T 166 / 99, ZInsO 2001, 324 - 325

Kommentar:

Dieser Beschluss befasst sich mit einem Problem, welches die Autoren der InsO - neben vielen anderen Dingen - vermutlich übersehen haben. Träger von Sozialleistungen, wie die Arbeitsämter, Jugendämter, Sozialämter, Krankenkassen oder Rentenversicherungsanstalten können neben den Möglichkeiten der Pfändung oder Abtretung auch die Verrechnung gemäss § 52 SGB I betreiben, wenn der Schuldner von einem anderen Sozialleistungsträger eine Leistung bezieht. Wie mit dieser Verrechnungsmöglichkeit nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens umzugehen ist, ist in der InsO leider nicht geregelt.

Ebenso wie das LG Göttingen kommt jetzt auch das Bayerische Oberste Landesgericht zu dem Schluss, dass im eröffneten Insolvenzverfahren eine Verrechnungsbefugnis des Sozialleistungs-trägers wegen Forderungen eines anderen Trägers von Sozialleistungen auf Grund des Gebotes der Gleichbehandlung der Gläubiger nicht besteht. Allerdings darf dieser Sozialleistungsträger wegen eigener Forderungen durchaus innerhalb der Fristen des § 114 Abs. 1 InsO verrechnen ( also für 2 bzw. 3 Jahre ).

Der komplizierte Sachverhalt sei an folgendem Beispiel dargestellt:

Der Schuldner ( Altfall und ohne Unterhaltsverpflichtungen ) hat neben anderen Schulden Verpflichtungen bei der AOK Bayern in Höhe von 20.000,- DM für nicht gezahlte Gesamtsozialversicherungsbeiträge aus einer früheren selbständigen Tätigkeit. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bezieht er eine Rente in Höhe von monatlich netto DM 1.500,- von der BfA Berlin. Eine Abtretung existiert nicht. In diesem Fall darf die BfA auf Antrag der AOK keine Verrechnung des pfändbaren Rentenanteils von monatlich DM 203,70 vornehmen, da Drittschuldner (BfA ) und Insolvenzgläubiger ( AOK ) nicht identisch sind. Der pfändbare Betrag muss in die Insolvenzmasse bezahlt werden.

Der selbe Schuldner bezieht jetzt im 2. Beispiel Krankengeld von der AOK Bayern in Höhe von monatlich DM 1.500,-. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens bleibt die AOK für 2 Jahre verrechnungsbefugt, da es sich um eigene Forderungen handelt und die Identität von Drittschuldner und Insolvenzgläubiger gegeben ist. Die DM 203,70 an monatlich pfändbarem Anteil des Krankengeldes darf die AOK auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit ihrer Forderung verrechnen.

Im Grundsatz ist also ein Träger von Sozialleistungen bei gegebener Identität von Drittschuldner und Insolvenzgläubiger so zu behandeln wie ein Abtretungsgläubiger, auch wenn der Schuldner hierbei keine Abtretungserklärung unterzeichnet hat.

Die aufgezeigten Probleme lassen sich vermeiden, wenn der Schuldner bei einer anderen Krankenkasse als bei derjenigen, bei der er Schulden hat, versichert ist. Nach derzeitiger ( 26.6.2001 ) Rechtslage kann der Pflichtversicherte zum Jahreswechsel mit 3-monatiger Kündigungsfrist die Krankenkasse wechseln.

Bei der Formulierung von ersetzungsfähigen gerichtlichen Schuldenbereinigungsplänen muss dieser Sachverhalt berücksichtigt werden, was ausserordentlich schwierig ist, da sich z.B. der Bezug von Krankengeld kaum planen lässt.

Michael Schütz