Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht für Insolvenzgläubiger kein Zugriff mehr auf den Vorrechtsbereich des Schuldnereinkommens

14.05.2001

OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14. 5. 2001 - 3 W 36/01

  1. Nur Neugläubiger, nicht aber Insolvenzgläubiger gehören zu den gemäss § 89 II 2 InsO privilegierten Gläubigern von Forderungen aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen, die auch während der Dauer des lnsolvenzverfahrens in den gemäss § 850 f II ZPO eventuell erweitert pfändbaren Teil der künftigen Bezüge des Schuldners vollstrecken dürfen. 
  2. Das gilt auch für den Fall, dass ein Insolvenzgläubiger auf eine Beteiligung am Insolvenzverfahren verzichtet.

Zum Sachverhalt:

Über das Vermögen des Schuldners wurde am 17. 3. 1999 das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Gläubigerin standen auf Grund von vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen des Schuldners vom 26. 8., 28. 8. und 28. 9. 1998 Ansprüche auf Schadensersatz zu, über die sie am 1. 2. 1999 einen Vollstreckungsbescheid erwirkte. Sie beantragte nunmehr, einen Termin zur Abnahme einer auf den gemäss § 89 II 2 lnsO in Verbindung mit § 850 f II ZPO pfändharen Teil der künftigen Bezüge des Schuldners beschränkten eidesstattlichen Versicherung zu bestimmen.

Das Vollstreckungsgericht hat diesen Antrag zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg. Auch die außerordentliche weitere Beschwerde der Gläubigerin vom 5. 2. 2001 blieb erfolglos.

Aus den Gründen:

1. Das Rechtsmittel der Gläubigerin ist als - vorrangig zu prüfende (vgl. Senat, Beschluss vom 20.3.1998 - 3 W 34/98; OLG Bamberg, NJW-RR 1992, 1466 f. ) - sofortige weitere Beschwerde unzulässig, weil die angefochtene Entscheidung keinen neuen selbststäncligen Beschwerdegrund enthält (§ 568 II 2 ZPO ). Die Beschränkung der weiteren Beschwerde durch die genannte Vorschrift gilt generell, auch im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens (vgl. nur Zöller/Stöber, ZPO, 22. Aufl., § 793 Rdnr. 8 ). An einem die weitere Anfechtung rechtfertigenden Beschwerdegrund fehlt es immer dann, wenn das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts in der Sache gebilligt hat, mithin zwei inhaltlich übereinstimmende Entscheidungen vorliegen (Zöller/Gummer, § 568 Rdnr. 8 ). Das ist hier der Fall. Die Beschwerdekammer hat in Übereinstimmung mit dem Vollstreckungsgericht die Voraussetzungen für die Bestimmung eines Termins zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gemäss §§ 807, 900 ZPO zur Feststellung der laufenden Bezüge des Schuldners, welche der Zwangsvollstreckung nach § 89 II 2 InsO unterliegen, verneint.

Die sofortige weitere Beschwerde ist auch nicht ausnahmsweise deshalb eröffnet, weil die Entscheidung des LG auf einem erstmaligen wesentlichen Verfahrensverstoß beruht (vgl. dazu Senat, Beschl. v. 11. 4. 2001 - 3 W 58/01; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 59. Aufl., § 568 Rdnr. 9 m. w. Nachw.). Hierzu bedarf es keiner Entscheidung der Frage, ob an Stelle des Vollstreckungsgerichts (AG Speyer ) das Insolvenzgericht (AG Ludwigshafen am Rhein) über die Vollstreckungserinnerung der Gläubigerin nach § 766 II ZPO hätte entscheiden müssen (vgl. § 89 III InsO, und hierzu Behr, JurBüro 1999, 66 [68]; Lüke, in: Kübler! Prütting, InsO, § 89 Rdnr. 34; Eickmann, in: Heidelberger Komm. z. InsO. 2. Aufl., § 89 Rdnrn. 6 ff. ). Denn die Vorinstanzen sind übereinstimmend von der Zuständigkeit des Vollstreckungsgerichts ausgegangen. Eine gegebenenfalls unzutreffende Beurteilung dieser verfahrensrechtlichen Frage durch das LG würde deshalb nicht die Voraussetzungen eines neuen selhstständigen Beschwerdegrundes im Sinne des § 568 II 2 ZPO erfüllen. Die Zulässigkeitssperre gilt nämlich insbesondere auch in Fällen der übereinstimmend unzutreffenden Annahme einer Verfahrensvoraussetzung und für die Frage des gesetzlichen Richters (KG, NJW 1968, 2245; OLG Hamm, JMBlNW 1964, 31; ZöIler/Gummer, § 568 Rdnrn. 8, 18, 20; anders bei ausschließlich zweitinstanzlichen Verfahrensfehlern RGZ 42, 352 [354 f.]; OLG Frankfurt a. M., MDR 1988, 63; OLG Koblenz, JurBüro 1989, 696; KG, MDR 1992, 997 ). Ob dies ebenso zu beurteilen wäre, wenn ein übereinstimmender (objektiv) willkürlicher Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters vorläge ( vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 1998, 207 [208]), bedarf keiner Entscheidung; hierfür bestehen keinerlei Anhaltspunkte.

2. Die Gläubigerin geht ersichtlich selbst von der Unzulässigkeit einer sofortigen weiteren Beschwerde gemäss § 568 II 2 ZPO aus. Aber auch die von ihr ausdrücklich so bezeichnete außerordentliche - erkennbar gemeint: weitere - Beschwerde ist nicht zulässig. Die Voraussetzung der von der Gläubigerin geltend gemachten greifbaren Gesetzwidrigkeit, dass nämlich die angefochtene Entscheidung (vgl. dazu BGH, NJW 1997, 744 = LM H. 3/1997 § 13 GVG Nr. 210) mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist, weil sie jeder rechtlichen Grundlage entbehrt und dem Gesetz inhaltlich fremd ist (vgl. BGHZ 121, 397 = NJW 1993, 1865 = LM H. 7/1993 § .51 ZPO Nr. 26; BGH, NJW 1998, 1715 f. = LM H. 8/1998 § 116 ZPO Nr. 8; Senat, Beschl. v. 19. 12. 2000 - 3 W 230/00 ), erfüllt der angefochtene Beschluss schon deshalb nicht, weil das LG die Rechtsfrage, ob das Vollstrecküngsverbot des § 89 I InsO eingreift, richtig beantwortet hat:

Dem Antrag der Gläubigerin, einen Termin zur Abnahme einer auf den gemäss § 89 II 2 JnsO i.V. mit § 850f II ZPO pfändbaren Teil der künftigen Bezüge des Schuldners be-schränkten eidesstattlichen Versicherung zu bestimmen, steht das Vollstreckungsverbot des § 89 I InsO entgegen. Danach sind Zwangsvollstreckungen für einzelne Insolvenzgläubiger während der Dauer des Insolvenzverfahrens weder in die lnsolvenzmasse noch in das sonstige Vermögen des Schuldners zulässig; das gilt auch für den Antrag nach § 900 ZPO i.V. mit § 807 ZPO (Wittkowski, in: Nerlich/Rdmermann, InsO, § 89 Rdnr. 11; Lüke, in: Kübler/Prütting, § 89 Rdnr. 9 ). Die Gläubigerin ist gemäss § 38 InsO Insolvenzgläubigerin. Denn ihre (persönlichen) Ansprüche aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen sind ausweislich des Vollstreckungsbescheids vom 1. 2. 1999 am 26. und 28. 8. 1998 sowie am 28. 9. 1998 und damit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners am 17. 3. 1999 entstanden. Der Umstand, dass sie sich nach ihren Ausführungen in der außerordentlichen weiteren Beschwerde nicht am Insolvenzverfahren beteiligt, ändert an ihrer Eigenschaft als Insolvenzgläubigerin nichts; hierdurch entfällt insbesondere nicht das Verbot der Einzelzwangsvollstreckung nach Verfahrenseröffnung (vgl. Holzer, in: Kübler/ Prütting, § 38 Rdnr. 4; Lüke, in: Kiibler/Prütting, § 89 Rdnr. 4).

Die Gläubigerin gehört nicht zu den gemäss § 89 II 2 InsO privilegierten Gläubigern von Forderungen aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen, die auch während der Dauer des Insolvenzverfahrens in den gemäss § 850 f II ZPO eventuell erweitert pfändbaren Teil der kiinftigen Bezüge des Schuldners vollstrecken dürfen. Zwar betreibt sie die Zwangsvollstreckung wegen entsprechender Forderungen. Das Vollstreckungsprivileg des § 89 II 2 InsO gilt aber nicht für Insolvenzgläuhiger. Denn die Vorschrift bestimmt, wie sich bereits aus der Bezugnahme "dies gilt nicht ..." ergibt, lediglich eine Ausnahme von dem weiteren Vollstreckungsverbot in § 89 II 1 InsO. Der Zugriff auf den nicht allgemein pfändbaren Teil der künftigen Bezüge ist daher während des Insolvenzverfahrens nur für die in § 89 II 2 InsO bezeichneten Deliktsgläubiger eröffnet, die nicht zugleich Insolvenzgläubiger im Sinne der §§ 35, 36 lnsO sind. Für diese verbleibt es bei dem Vollstreckungsverhot des § 89 I lnsO (so auch Eickmann, in: Heidelberger Komm z. InsO, § 89 Rdnrn. 3, 13; Stöber, Forderungspfändung, 12. Aufl., Rdnr. 972 a; Behr, JurBüro 1999, 66 ). Aus der Begriindung des Entwurfs einer Insolvenzordnung vom 15. 4. 1992 ergibt sich entgegen der Auffassung der Gläubigerin nichts anderes (vgl. BT-Drucksache 12/2443, S. 137 f. [zu § 100 InsO-E] ).

Nur diese dem Wortlaut und der Systematik der Vorschrift Rechnung tragende Auslegung entspricht dem Zweck der Vollstreckungsverbote in § 89 I und II InsO: Die Vorschrift dient dem Verfahrensziel, die Insolvenzgläubiger gemeinschaftlich aus dem Vermögen des Schuldners zu befriedigen; Abs. 2 soll gewährleisten, dass die künftigen Dienstbezüge des Schuldners im Falle eines Restschuldbefreiungsverfahrens den Gläubigern zur Verfügung stehen (Lüke, in: Kübler/Prütting, § 89 Rdnrn. 2 f.; Wittkowski, in: Nerlich/Römermann, § 89 Rdnrn. 2f., 18; Hess, lnsO, § 89 Rdnrn. 10, 39 bis 41). Persönliche Gläubiger, deren Vermögensansprüche gegen den Schuldner erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet worden sind (zum Entstehungszeitpunkt s. Andres in: Nerlich/Römermann, § 38 Rdnr. 13), können hingegen grundsätzlich in das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners vollstrecken ( vgl. § 91 I InsO ). Im Blick auf den Umstand, dass gemäss § 35 InsO auch das Vermögen, das der Schuldner während des Verfahrens erlangt, vom Insolvenzbeschlag erfasst ist, hat dies freilich keine große praktische Bedeutung (vgl. Wittkowski, in: Nerlich/Römermann, § 89 Rdnr. 20; Behr, JurBüro 1999, 66 [67]). Zwar gehört die Differenz zwischen den gemäss § 850 c ZPO und den gemäss § 850 f II ZPO pfändbaren Bezügen nach den §§ 35, 36 InsO zum insolvenzfreien Vermögen ( Smid, InsO, § 89 Rdnrn. 6, 10 ).

§ 89 II 1 lnsO weitet das Vollstreckungsverhot aber für die dort bezeichneten künftigen Bezüge des Sehuldners insbesondere auf Neugläubiger aus (Lüke, in: Kübler/Prütting, § 89 Rdnrn. 28, 32 f.; Eickmann, in: Heidelberger Komm z. InsO, § 89 Rdnr. 12 ). Allein um diese Vollstreckungssperre abzumildern, sieht § 89 II 2 InsO eine Ausnahme zu Gunsten der in der Vorschrift bezeichneten privilegierten ( Neu- ) Gläubiger vor. Ihnen eröffnet die Bestimmung im Blick auf ihre besondere Schutzbedürftigkeit auch während des Insolvenzverfahrens die Vollstreckung in den - von einer Abtretung an einen Treuhänder gemäss § 287 II 1 InsO nicht erfassten (Ahrens, in: Frankfurter Komm z. InsO, 2. Aufl., § 287 Rdnr. 63; Smid, § 89 Rdnrn. 6, 10 ) - nicht allgemein pfändbaren Teil der künftigen Bezüge ( Eickmann, in: Heidelberger Komm. z. InsO, § 89 Rdnr. 13; Steder, ZIP 1999, 1874 [1881]; vgl. auch die Anmerkung der Schriftleitung in DGVZ 2000, 77 ).

Die Auffassung der Gläubigerin, die auf ein Wahlrecht des Insolvenzgläubigers zwischen einer Beteiligung am Insolvenzverfahren und einer Einzelzwangsvollstreckung nach § 89 II 2 InsO hinausläuft, ist daher unzutreffend. Gemäss § 87 InsO "können" die Insolvenzgläubiger ihre Forderungen "nur" nach den Vorschriften über das lnsolvenzverfahren verfolgen. Auch die nach § 12 KO früher bestehende, durch § 87 InsO nunmehr ausgeschlossene (vgl. BT-Dr 12/2443, S. 137 [zu § 98 InsO-E]) Möglichkeit des Konkursgläubigers, nach einem Verzicht auf die Teilnahnse am Konkursverfahren gegen den Gemeinschuldner persönlich im Klagewege vorzugehen (h.M., vgl. BGHZ 25, 395 = NJW 1958, 23 = LM § 12 KO Nr. 1; BGHZ 72, 234 = NJW 1979, 162 = LM § 60 ZVG Nr. 1), eröffnet nicht den Zugriff auf das konkursfreie Vermögen (§ 14 KO; s. BGHZ 25, 395 [400] = NJW 1958, 23 - LM § 12 KO Nr. 1).

OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14. 5. 2001 - 3 W 36/01

Fundstelle: NZI 2001, 423 - 424

Kommentar:

Das OLG Zweibrücken liefert hier eine interessante und sehr schuldnerfreundliche Interpretation des § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO. Während die herrschende Meinung bisher davon ausging, dass Deliktsgläubiger oder Unterhaltsgläubiger auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in den Vorrechtsbereich des § 850 f Abs. 2 bzw. § 850 d ZPO vollstrecken können, hat das OLG Zweibrücken den insofern interpretationsfähigen § 89 InsO jetzt so ausgelegt, dass für Insolvenzgläubiger ein absolutes Vollstreckungsverbot auch bezüglich des ( ohnehin nicht in die Insolvenzmasse fallenden ) Vorrechtsbereiches gilt. Dies würde sinngemäss heissen, dass mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auch auf den Vorrechtsbereich beschränkte Lohnpfändungen erlöschen. Der Betrag aus dem Vorrechtsbereich verbleibt dann dem Schuldner, der Delikts- oder Unterhaltsgläubiger muss mit der regulären Quote als Insolvenzgläubiger zufrieden sein. So positiv diese Regelung für den Schuldner auch ist, darf doch nicht vergessen werden, dass häufig auch insbesondere Unterhaltsgläubiger wie geschiedene Ehegatten schutzbedürftig sind. Auf Grund vorrangiger Abtretungen von Banken steht ihnen häufig nur der Vorrechtsbereich zur Befriedigung ihrer Unterhaltsansprüche zur Verfügung. Mit der Anhebung der Pfändungsfreigrenzen zum 1.1.2002 würde dieser Bereich im Einzelfall recht gross werden. Der säumige Unterhaltsschuldner kann sich einer Vollstreckung in den Vorrechtsbereich aber entziehen, wenn er nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den geschuldeten Unterhalt regelmässig zahlt. Dadurch verhindert er das Entstehen eines vollstreckungsberechtigten Neugläubigers, der in der Person identisch mit dem Insolvenzgläubiger sein kann.

Gegen ein völliges Erlöschen seines rückständigen Unterhaltsanspruches vor Insolvenzeröffnung kann sich der Unterhaltsgläubiger nur wehren, indem er seine Forderung als nach § 302 InsO ausgenommene Forderung anmeldet und nachweist, dass der Unterhaltsrückstand auf eine Unterhaltspflichtverletzung des Schuldners zurückzuführen ist. In diesem Zusammenhang wird es vermutlich in Zukunft nach der Eröffnung von Insolvenzverfahren zu einer Vielzahl von Anzeigen wegen vorinsolvenzlicher Unterhaltspflichtverletzungen kommen, da der Unterhaltsgläubiger dann für ihn kostenlos durch die Strafjustiz überprüfen lassen kann, ob eine ausgenommene Forderung im Sinne des § 302 InsO vorliegt. Wird der Unterhaltspflichtige verurteilt und die Forderung entsprechend angemeldet, kann der Unterhaltsgläubigernach Erteilung der Restschuldbefreiung sowohl in den Bereich des § 850 c als auch in den weitergehenden Bereich des § 850 f Abs. 2 ZPO vollstrecken.

Michael Schütz

03.09.2001