Auch im masselosen Regelinsolvenzverfahren kann das schriftliche Verfahren angewandt werden

04.03.2002

AG Göttingen, Beschluss vom 4.3.2002 - 74 IN 60/02

Leitsatz des Gerichts:

In analoger Anwendung des § 312 Abs. 2 InsO kann das schriftliche Verfahren auch in den Fällen angeordnet werden, die aufgrund der Neuregelung in § 304 InsO nicht mehr dem Verbraucherinsolvenzverfahrcn, sondern dem Regelinsolvenzverfahren unterfallcn ( wie vorliegend bei eingestelltem Geschäftsbetrieb ).

AG Göttingen, Beschluss vom 4.3.2002 - 74 IN 60 / 02 ( = Regelinsolvenzverfahren )

Fundstelle: ZInsO 2002, 292

Dem Schuldner wird die Verfügung über seiner gegenwärtiges Vermögen und das Vermögen, das während der Zeit des Verfahrens erlangt, verboten. Die Verfügungsbefugnis geht auf den vorgenannten lnsolvenzverwalter über.

Schuldbefreiende Leistungen können nach dem Eröffnungszeitpunkt nicht mehr an den Schuldner erfolgen. Wird gleichwohl an den Schuldner geleistet und gelangen die Leistungen nicht zur Masse, besteht die Gefahr einer nochmaligen Leistungsverpflichtung.

Die Gläubiger werden aufgefordert. Insolvenzforderungen ( § 38 InsO ) schriftlich in zwei Stücken unter Beifügung von Urkunden, Rechnungen und ggf. weiteren über die Forderungen bestehenden Unterlagen anzumelden bis zum 30.4.2002.

Dem Insolvenzverwalter ist auch mitzuteilen, ob und ggf. welche Sicherungsrechte für die angemeldeten Forderungen an beweglichen Sachen oder Rechten bestehen und in Anspruch genommen werden. Der Gegenstand, an dem das Sicherungsrecht beansprucht wird, die Art und der Entstehungsgrund des Sicherungsrechts sowie die gesicherte Forderung sind zu bezeichnen. Wer die Mitteilung schuldhaft unterlässt oder verzögert, haftet für den daraus entstehenden Schaden ( § 28 Abs. 2 InsO ).

Personen. die Verpflichtungen gegenüber dem Schuldner haben, werden aufgefordert, nicht mehr an den Schuldner, sondern nur noch an den Insolvenzverwalter zu leisten ( § 28 Abs. 3 InsO ).

Es wird in analoger Anwendung von § 312 Absatz 2 Satz 2 InsO für das Verfahren das schriftliche Verfahren angeordnet.

Am 17.5.2002 findet der Prüfungstermin im schriftlichen Verfahren statt, in dem die angemeldeten Forderungen geprüft werden.

Des Weiteren erfolgt Beschlussfassung über die evtl. Wahl eines anderen Insolventverwalters, die Einsetzung eines Gläubigerausschusses und die in den §§ 66, 100, 149, 160 InsO bezeichneten Angelegenheiten.

Hinweis: Gläubiger, deren Forderungen festgestellt worden sind, werden nicht benachrichtigt.

Der lnsolvenzverwalter wird mit der Durchführung der Zustellungen beauftragt ( § 8 Abs. 3 lnsO ).

Begründung:

Durch die InsO wurden für das Verhraucherinsolvenzverfahren und sonstige Kleinverfahren diverse Verfahrenserleichterungen eingeführt. Nach § 312 Abs. 2 Satz 2 InsO kann das Insolvenzgericht anordnen, dass das gesamte Verfahren oder einzelne seiner Teile schriftlich durchgeführt wird.

Voraussetzung ist, dass die Vermögensverhältnisse des Schuldners zum einen überschaubar sind und andererseits die Zahl der Gläubiger oder die Höhe der Verbindlichkeiten gering sind.

Diese Regelung des § 312 Abs. 2 Satz 2 InsO dient nach dem Bericht des Rechtsausschusses ( BT-Drucks. 12/3702, S. 193 ) vor allem der Verfahrensvereinfachung und der Entlastung der Gerichte. Wie das schriftliche Verfahren im Einzelnen aussehen soll und kann, ist nirgends geregelt.

Das Insolvenzgericht Göttingen hat bei Vorliegen dieser Voraussetzungen bisher einen schriftlichen Prüfungstermin bestimmt, in dem die angemeldeten Forderungen geprüft wurden gemäss § 176 InsO.

Durch das lnsOÄndG 2001 haben sich die Zuständigkeiten hinsichtlich der Zuordnung eines Schuldners zu einem Verbraucher- oder Regel- insolvenzverfahren verschoben.

In § 304 InsO sind nun Abgrenzungskriterien normiert, die dazu führen, dass eine Vielzahl von Schuldnern. die vor dem 1.12.2001 noch einem Verhraucherinsolvenzverfahren zuzuordnen gewesen wären, nunmehr ein Regelinsolvenzverfahren durchlaufen müssen.

Die Folge ist u.a., dass die Verfahrenserleichterungen des § 312 InsO für diese Schuldner keine Anwendung finden.

Es kann weder das schriftliche Verfahren angeordnet werden, noch findet nur der Prüfungstermin statt.

Für die lnsolvenzgerichte wird es folglich eine Vielzahl von zusätzlichen, wenn auch kombinierten Berichts- und Prüfungsterminen geben.

Das mit der Einführung der InsO in § 312 InsO beabsichtigte Ziel der Entlastung der Gerichte ist durch das InsOÄndG 2001 somit hinfällig.

Das Gericht geht davon aus, dass es bei der Fassung des InsOÄndG 2001 vom Gesetzgeber schlichtweg vergessen wurde, den § 312 InsO weiterhin für bestimmte Schuldner, die nunmehr aufgrund der Neufassung des § 304 lnsO einem Regelinsolvenzverfahren zugeordnet werden, gelten zu lassen.

Das Gericht wendet daher den § 312 Abs. 2 Satz 2 InsO dahingehend analog an, dass das schriftliche Verfahren und die Konzentration auf den Prüfungstermin auch für die Schuldner gilt, denen nur aufgrund der Neuregelung des § 304 lnsO ein Verbraucherinsolvenzverfahren verwehrt bleibt, die jedoch nach § 304 a.F. InsO ursprünglich einem Verbraucherinsolvenzverfahren zuzuordnen gewesen wären.

Kommentar:

Eine mutige Entscheidung des AG Göttingen, die allerdings im Gesetz ( rein formal ) keine Stütze findet. Bei der denkwürdigen Nachtsitzung des Rechtsausschusses zum InsOÄndG 2001 wurde eine ganze Menge vergessen, man denke nur an die Frage, ab wann bei Neuverfahren die Erwerbsobliegenheit gilt.

Wenn ein ehemals selbständiger Schuldner auch nur 1 Cent Lohnsteuerschulden beim Finanzamt hat, wird er auf Grund dieser Schulden automatisch dem Regelinsolvenzverfahren zugeordnet mit der Folge, dass das kosten- und umständesparende schriftliche Verfahren nicht angewandt werden kann. Der Insolvenzverwalter muss wegen eines Verfahrensbei dem es in der Regel kaum etwas zu verteilen gibt, zweimal persönlich beim Insolvenzgericht erscheinen ( Prüfungs- und Schlusstermin ). Diese Anwesenheitspflicht entfällt beim schriftlichen Verfahren. Folglich hat diese Entscheidung bei den Verwaltern viel Beifall gefunden.

Für den Schuldner hat diese Verfahrensart Vor- und Nachteile. Der Vorteil ist, dass er bei der Anmeldung von ausgenommenen Forderungen ( § 302 InsO ) durch die Insolvenzgläubiger schriftlich Widerspruch einlegen kann. Ansonsten muss er im Regelinsolvenzverfahren im Prüfungstermin persönlich erscheinen ( oder sich durch eine bevollmächtigte Person vertreten lassen ), damit der Widerspruch wirksam eingelegt werden kann. Der Nachteil ist, dass die Gläubiger Versagungsanträge jetzt auch schriftlich stellen können und im ( schriftlichen ) Schlusstermin nicht mehr persönlich erscheinen müssen. Dies wird die Zahl der zulässigen Versagungsanträge mit Sicherheit beträchtlich erhöhen.

Insgesamt weist die Entscheidung aber in die richtige Richtung, denn der erhebliche formale Aufwand, den ein masseloses Regelinsolvenzverfahren über das Vermögen einer natürlicher Person bedeutet, muss dringend reduziert werden, wenn die Gerichte nicht in der Verfahrensflut seit dem 1.12.2001 ertrinken sollen.

Michael Schütz

7.5.2002