Keine Stundung der Verfahrenskosten bei unterlassener zumutbarer Rücklagenbildung

08.01.2002

AG Duisburg, Beschluß vom 8.1.2002 - 63 IK 21 / 01

Leitsatz des Gerichts:

In der Verbraucherinsolvenz hat ein Schuldner, der die gesetzliche Restschuldbefreiung anstrebt, ab Beginn des außergerichtlichen Einigungsversuchs mit der Sorgfalt eines redlichen Schuldners nach besten Kräften Rücklagen für die Kosten des auf ihn zukommenden Insolvenzverfahrens anzusparen. Verstößt er gegen diese Pflicht, so ist er im Hinblick auf die Stundung so zu behandeln, als seien die verbrauchten Finanzmittel noch vorhanden.

AG Duisburg, Beschluß vom 8.1.2002 - 63 IK 21 / 01

Fundstelle: NZI 2002, 217 - 218

Zum Sachverhalt:

Der Schuldner war nach eigenen Angaben bis 1991 als selbstständiger und seither zeitweise als angestellter Binnenschiffer tätig. Von Juli 2000 bis April 2001 war er arbeitslos und nahm ab Mai 2001 eine bereits von Oktober 1998 bis April 2000 begonnene Umschulung zum Altenpfleger wieder auf. Er bezieht vom Arbeitsamt W. ein Unterhaltsgeld von wöchentlich 575,96 DM; nach Abzug des abgetretenen pfändbaren Anteils verbleiben ihm wöchentlich 481,95 DM. Die Ehefrau des Schuldners bezog von September 2000 bis Januar 2001 Arbeitslosenhilfe in Höhe von monatlich ca. 520 DM und von Februar bis September 2001 Arbeitslosengeld in Höhe von monatlich ca. 1000 DM. Sie hat einen 1986 geborenen Sohn in die Ehe mitgebracht, für den sie monatlich Unterhaltszahlungen des Vaters in Höhe von ca. 600 DM und Kindergeld in Höhe von 270 DM erhält. Im Jahr 1998 sprach der Schuldner zum ersten Mal bei der Schuldnerberatungsstelle des Diakonischen Werks in W. wegen einer Regulierung seiner Schulden vor. Die Schuldnerberatungsstelle leitete am 7. 9. 2000 mit einem Anschreiben an die Gläubiger den außergerichtlichen Einigungsversuch ein. Er scheiterte. Am 28. 2. 2001 beantragte der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen und die anschließende Restschuldbefreiung. Das Gericht hat den Schuldner mit der Eingangsbestätigung vom 1.3.2001 u.a. auf die Obliegenheit zur Rücklagenbildung für die Verfahrenskosten hingewiesen. Der vorgelegte Schulden-bereinigungsplan wurde von den Gläubigern nicht angenommen. Im Auftrage des Gerichts erstattete der Sachverständige Z am 6. 8. 2001 ein Gutachten über die Einkommens- und Vermögenslage des Schuldners. Er kam zu dem überzeugenden Ergebnis, dass der Schuldner bei einem Schuldenstand von ca. 101.354 DM zahlungsunfähig ist, sein gegenwärtiges Vermögen und seine in absehbarer Zeit verfügbaren Einkünfte aber zur Deckung der Verfahrenskosten voraussichtlich nicht ausreichen werden. Das Gericht hat dem Schuldner mit Schreiben vom 9. 8. 2001 Gelegenheit gegeben, innerhalb eines Monats einen Kostenvorschuss von 2.500 DM einzuzahlen. Daraufhin beantragte der Schuldner mit Schreiben vom 20.8.2001 Prozesskostenhilfe für die Eröffnung und Durchführung des Insolvenzverfahrens und mit Schreiben vom 4. 12. 2001 Stundung der Verfahrenskosten.

Der Antrag hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

II. 1. Der Antrag des Schuldners auf Stundung der Verfahrenskosten ist unbegründet. Nachdem durch das am 1. 12. 2001 in Kraft getretene InsOÄndG 2001 die §§ 4a bis d in die InsO eingefügt worden sind, besteht zwar nunmehr grundsätzlich die Möglichkeit, einem Schuldner die Kosten des von ihm beantragten Insolvenzverfahrens zu stunden. Die Voraussetzungen für eine Stundung liegen aber hier nicht vor.

a) Grundlegende Bedingung für die Stundung der Verfahrenskosten ist, dass das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um diese Kosten zu decken (§ 4a I 1 InsO). Dabei kommt es nicht allein auf das tatsächlich vorhandene Vermögen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. Wie die Prozesskostenhilfe ist auch die Stundung der Verfahrenskosten nach § 4a InsO eine besondere Form der Sozialhilfe. Deshalb ist die Stundung, ebenso wie im Zivilprozessrecht die Bewilligung der Prozesskostenhilfe, zu verweigern, wenn der Antragsteller seine Einkünfte oder sein Vermögen ohne dringende Notwendigkeit vermindert hat, obwohl ihm bewusst war oder er zumindest ernsthaft damit rechnen musste, dass ein kostenträchtiges Gerichtsverfahren auf ihn zukommen werde (vgl. zur Prozesskostenhilfe OLG Bamberg, FamRZ 1986, 699 [700]; OLG Düsseldorf, FamRZ 1987, 729; OLG Koblenz, Rpfleger 1989, 417; Wax, in: MünchKomm-ZPO, 1992, § 114 Rdnr. 47, § 115 Rdnr. 37; Zöller/Philippi, ZPO, 22. Aufl. [2001], § 114 Rdnrn. 72ff., jeweils mit weiteren Nachweisen).

Für den Bereich des Insolvenzverfahrens folgt dies in besonderer Weise aus dem gesetzlichen Grundsatz, dass nur ein redlicher Schuldner Gelegenheit zur Restschuldbefreiung erhalten soll (§ 1 S. 2 InsO). Wer den weitreichenden rechtlichen Vorteil der Restschuldbefreiung anstrebt, unterliegt in seinen eigenen Angelegenheiten einer deutlich gesteigerten Sorgfaltspflicht (LG Duisburg, NZI 2000, 184; LG Göttingen, NZI 2001, 220). Er hat die erforderliche Sorgfalt eines redlichen Schuldners anzuwenden (vgl. dazu Schmahl, ZZP 114 [2001], 261 [262f.]). Wie sich dies nach der Vorstellung des Gesetzes im vorliegenden Zusammenhang auswirkt, bringt indirekt § 290 I Nr. 4 InsO zum Ausdruck. Nach dieser Vorschrift ist die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn der Schuldner im letzten Jahr vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach Stellung des Antrags vorsätzlich oder grob fahrlässig die Befriedigung der Insolvenzgläubiger dadurch beeinträchtigt hat, dass er unangemessene Verbindlichkeiten begründet oder Vermögen verschwendet hat. Ein redlicher Schuldner hat daher darauf bedacht zu sein, Rücklagen für die Verfahrenskosten anzusparen, indem er nach besten Kräften unnötige Ausgaben vermeidet und die vorhandenen oder zufließenden Vermögenswerte möglichst weitgehend bewahrt.

Diese Obliegenheit trifft den Schuldner nicht erst nach Einreichung des Eröffnungsantrags (vgl. dazu AG Duisburg, NZI 2000, 286), sondern, wie auch in § 290 I Nr. 4 InsO zum Ausdruck kommt, schon während der Vorbereitung des Eröffnungsantrags. In der Verbraucherinsolvenz gehört hierzu jedenfalls die Zeit des außergerichtlichen Einigungsversuchs (§ 305 I Nr. 1 InsO). Mit dem Einigungsversuch unternimmt der Schuldner nämlich den ersten gesetzlich notwendigen Schritt auf dem Weg zur Restschuldbefreiung.

Ein Schuldner, der grob fahrlässig oder vorsätzlich gegen die Obliegenheit zur Rücklagenbildung für die Verfahrenskosten verstößt, ist im Hinblick auf die Stundung dieser Kosten so zu behandeln, als sei der pflichtwidrig verbrauchte Vermögensgegenstand noch vorhanden (AG Duisburg, NZI 2000, 286).

b) Zum wirtschaftlichen Verhalten des Schuldners in der Zeit seit Beginn des außergerichtlichen Einigungsversuchs (September 2000) und seit Antragstellung (28. 2. 2001) lassen sich anhand der vom Schuldner vorgelegten Unterlagen zumindest folgende Feststellungen treffen:

Seit November 2000 hat der Schuldner beim O-Versand in H. Bestellungen aufgegeben, für die er Rechnungen in Höhe von insgesamt 3.983,34 DM erhielt. (Wird ausgeführt.)

Hierzu hat der Schuldner mit Schreiben vom 20. 10. 2001 Erläuterungen gegeben. Die Notwendigkeit dieser Bestellungen lässt sich nur für Positionen mit einer Summe von 1.673,03 DM nachvollziehen. (Wird ausgeführt.)

Für den Differenzbetrag von (3.983,34 – 1.673,03 DM =) 2.310,31 DM ist keine dringende wirtschaftliche Notwendigkeit dargelegt. Dies gilt insbesondere für die Anschaffung der Sportartikel und der elektronischen Geräte. Aus den übersandten Kontoauszügen ergibt sich, dass der Schuldner von März bis Ende August 2001 Ratenzahlungen in Höhe von insgesamt 1612,90 DM auf diese bezogenen Waren an den O-Versand geleistet hat. Die Bestellungen überstiegen also seine aktuell verfügbaren Mittel. Am 11. 4. 2001, gut fünf Wochen nach Einreichung des Eröffnungsantrags bei Gericht, ist dem Schuldner auf Grund eines Bescheids des Finanzamts vom 9.4. 2001 eine Einkommensteuererstattung in Höhe von 1.938,49 DM gut geschrieben worden. Sie wurde mit Duldung des Schuldners von der Volksbank eG in H. mit dem überzogenen Konto des Schuldners verrechnet.

c) Der Schuldner ist so zu behandeln, als verfüge er noch über die Steuererstattung von 1.938,49 DM und die an den O-Versand gezahlten Beträge in Höhe von insgesamt 1.612,90 DM. Zu den Vermögenswerten, deren Verwendung als Rücklage nicht nur in Betracht kommt, sondern sich geradezu aufdrängt, gehören insbesondere Steuererstattungen (vgl. AG Duisburg, NZI 2000, 286f.). Bei Aufwendung der gebotenen Sorgfalt eines redlichen Schuldners hätte der Schuldner dies erkennen können. Es wäre ihm möglich und zumutbar gewesen, jedenfalls ab Beginn des außergerichtlichen Einigungsversuchs rechtzeitig vor Auszahlung der Steuererstattung dafür zu sorgen, dass der Betrag nicht auf das im Soll befindliche Konto bei der Volksbank, sondern auf ein Guthabenkonto bei einer anderen Bank überwiesen würde. Auch die Zahlungen des Schuldners auf die entbehrlichen Bestellungen beim O-Versand seit November 2000 muss er sich zurechnen lassen. Sie hätte er ebenfalls ansparen können. Die Summe der beiden Beträge (3.551,39 DM = 1.815,80 Euro) hätte in Verbindung mit künftigem Einkommen voraussichtlich zur Deckung der Verfahrenskosten ausgereicht.

2. Über den Antrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird erst nach Rechtskraft dieses Beschlusses entschieden. Sofern der Schuldner nicht zuvor den Kostenvorschuss von 1.300 Euro (= ca. 2.543 DM) einzahlt, muss er nach dem gegenwärtigen Sachstand mit der Abweisung des Antrags mangels Masse rechnen. In diesem Fall ist auch die beantragte Restschuldbefreiung kraft Gesetzes ausgeschlossen (§§ 286, 289 III InsO).

Kommentar:

Dem Autor dieses Beschlusses, Richter Dr. Schmahl vom AG Duisburg, geht es hier wohl in erster Linie um Aufmerksamkeit um jeden Preis. Nachdem sich seine Verfassungsbeschwerde bezüglich PKH in InsO-Verfahren durch die Neuregelungen des Gesetzgebers erledigt hat, möchte er sich nun durch diesen wahrhaft skurrilen Beschluss die Aufmerksamkeit der Fachöffentlichkeit erhalten.

Es erscheint eher weltfremd, dass ein Insolvenzrichter tatsächlich die Zeit hat, sämtliche ( bezahlten !! ) Versandhausbestellungen des Schuldners der letzten Jahre durchzugehen und die bestellten Waren dann in notwendige und nicht notwendige Gegenstände einzuteilen ( Sportartikel sind grundsätzlich nicht notwendig ! ). Alsdann wird aus dem Wert der nicht notwendigen Waren ein fiktives Vermögen gebildet, das der Schuldner für die Verfahrenskosten bei Gericht einzuzahlen hat. Vermutlich wird das AG Duisburg jetzt bald den Quelle-Katalog in einer Sonderausgabe herausbringen mit einem Zusatzvermerk bei jedem Artikel, ob der Erwerb dieses Artikels vom Insolvenzgericht toleriert wird oder nicht ( in Zweifelsfällen bitte telefonisch bei Herrn Dr. Schmahl nachfragen ! ).

Richtig abenteuerlich wird der Beschluss aber dann, wenn dem Schuldner ernsthaft empfohlen wird, seine kontoführende Bank zu hintergehen und die Lohnsteuererstattung des Finanzamtes heimlich auf ein Guthabenkonto bei einer anderen Bank zu überweisen. Abgesehen davon, dass dieses Vorhaben praktisch nicht durchführbar ist, da es bis heute ein einklagbares Recht auf ein Girokonto bei massenhaft vorliegenden negativen Schufa-Einträgen nicht gibt, gefährdet der Schuldner durch ein solches Verhalten sein Girokonto ganz massiv. Wenn die kontoführende Bank merkt, dass der Schuldner seine Erstattung umgeleitet hat und er unmittelbar danach die Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreibt, wird sie in der Praxis kaum bereit sein, sein Konto aufrecht zu erhalten. Dem Schuldner bleibt dann nur noch das Treuhandkonto in der Insolvenz und er darf dann (zur grossen Freude des Treuhänders ) jahrelang alle Überweisungen nur noch vom Treuhandkonto tätigen.

Diese heissen Tips aus Duisburg sollten also in der Praxis ignoriert werden. Es ist auch nicht zu erwarten, dass diese Vorschläge zur Verzehnfachung des Arbeitsaufwandes bei einer Stundungsentscheidung bei anderen Insolvenzrichtern auf fruchtbaren Boden fallen.

Michael Schütz

29.5.2002