Fälligkeit eines fiktiven Vergleichseinkommens bei Selbstständigen
AG Göttingen, Beschluss vom 02.09.2011, 74 IN 107/09
Leitsätze:
1. Das fiktiven Vergleichseinkommen gem. § 295 Abs. 2 InsO muss ein selbständig tätiger Schuldner erst zum Ende der Wohlverhaltensperiode an den Treuhänder zahlen.
2. Versagungsanträge gem. § 295 Abs. 2 InsO können erfolgreich erst zum Abschluss des Verfahrens im Rahmen des § 300 InsO gestellt werden.
3. Ein Auskunftsanspruch gem. § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO über die Einnahmen aus der Selbständigkeit besteht nicht.
AG Göttingen, Beschl. v. 2. 9. 2011 - 74 IN 107/09
I. Über das Vermögen des Schuldners ist am 27.4.2009 unter Bewilligung von Stundung das Insolvenzverfahren eröffnet und nach Ankündigung der Restschuldbefreiung mit Beschl. v. 5.1.2010 aufgehoben worden. Den Geschäftsbetrieb (Buchführungsservice) hat der Insolvenzverwalter zum 3.9.2009 freigegeben. Mit Schreiben v. 30.6.2011 hat die Gläubigerin lfd. Nr. 5, deren Forderung zur Tabelle mit 3.033,71 € festgestellt ist, Versagung der Restschuldbefreiung beantragt. Zur Begründung trägt sie vor, der Schuldner komme seiner Verpflichtung zur Zahlung des monatlichen Unterhalts von 362 € für den 1994 geborenen Sohn nicht nach. Trotz Hinweises habe der Schuldner seine keinen oder nur geringen Gewinn abwerfende Tätigkeit nicht aufgegeben und sei nicht in seinem erlernten Beruf als Steuerfachangestellter tätig. Auch einen Nachweis über Erwerbsbemühungen habe er nicht vorgelegt. Beigefügt war dem Antrag eine Aufstellung über Unterhaltsrückstände von 12.070 € für den Zeitraum März 2007 - Juni 2011. Der Treuhänder hat mitgeteilt, dass der Schuldner auch nach Freigabe seiner selbstständigen Tätigkeit keine Zahlungen an die Masse leistete. Das Gericht hat dem Schuldner mit Schreiben v. 11.8.2011 aufgefordert, einen aktuellen Einkommensnachweis vorzulegen. Eine Reaktion darauf ist nicht erfolgt.
II. Die Voraussetzungen für eine Versagung der Restschuldbefreiung liegen nicht vor.
Der Antrag ist unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
1. Der Antrag ist unzulässig, soweit sich die Antragstellerin auf nach Verfahrenseröffnung aufgelaufene Unterhaltsrückstände beruft. Die Antragstellerin ist nicht antragsbefugt. Versagungsanträge können gem. § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO nur Insolvenzgläubiger stellen. Es ist zwar eine Forderung der Gläubigerin zur Insolvenztabelle festgestellt. Diese betrifft aber nur den vor Eröffnung entstandenen Zahlungsanspruch. Hinsichtlich der nach Eröffnung entstandenen Ansprüche ist die Antragstellerin nicht Insolvenzgläubigerin i.S.d. § 38 InsO, sondern Neugläubigerin. Diese muss ihre Ansprüche außerhalb des Insolvenzverfahrens verfolgen. Ein Vollstreckungsverbot besteht für sie jedenfalls nach Aufhebung des Verfahrens nicht, da § 294 InsO nur die Vollstreckung von Insolvenzgläubigern für unzulässig erklärt. Als Unterhaltsgläubigerin ist sie sogar privilegiert, da sie gem. § 850d ZPO vollstrecken kann.
2. I.Ü. ist der Antrag ebenfalls unzulässig bzw. unbegründet. Der von der Gläubigerin dargelegte Sachverhalt fällt nicht unter die in § 295 InsO aufgeführten Versagungstatbestände. Die Vorschriften des § 295 Abs. 2 und Abs. 1 Nr. 1 InsO greifen nicht ein.
a) § 295 Abs. 2 InsO verpflichtet selbstständig tätige Schuldner, Insolvenzgläubiger durch Zahlungen an den Treuhänder so zu stellen, als ob er ein angemessenes Dienstverhältnis eingegangen wäre.
aa) Die Antragstellerin hat schon nicht dargelegt, dass der Schuldner bei abhängiger Tätigkeit Einkommen im pfändbaren Bereich erzielen könnte und somit die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt ist (§ 296 Abs. 1 Satz 1 InsO). Im Hinblick auf die nachfolgenden Ausführungen hat das Insolvenzgericht davon abgesehen, von der Antragstellerin ergänzende Angaben einzufordern.
bb) Die Wohlverhaltensperiode endet am 27.4.2015. Für einen selbstständig tätigen Schuldner sind regelmäßige Zahlungen an den Treuhänder empfehlenswert, aber nicht zwingend. Es genügt, dass die Zahlungen am Ende der Wohlverhaltensperiode erbracht werden (LG Potsdam, Beschl. v. 1.10.2009 - 5 T 322/09, ZInsO 2010, 252; AG Charlottenburg, Beschl. v. 31.3.2009 - 109 IN 1419/04, ZInsO 2009, 1219; HambKomm-InsO/Streck, 3. Aufl. 2009, § 295 InsO Rn. 27; Schmerbach, in: Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV, § 296 InsO Rn. 28; Küpper/Heinze, ZInsO 2009, 1785, 1787; a.A. Grote, ZInsO 2004, 1105, 1107). Für die von der Gegenmeinung vorgeschlagene Frist von einem Jahr für die Zahlung rückständiger Zahlungen bietet das Gesetz aber keine Stütze. Für Versagungsanträge von Gläubigern bedeutet dies, dass sie erst nach Ablauf der Wohlverhaltensperiode im Rahmen des § 300 InsO gestellt werden können (AG Göttingen, Beschl. v. 2.3.2009 - 74 IN 137/02, ZInsO 2009, 934, LG Bayreuth, Beschl. v. 17.6.2009 - 42 T 65/09, ZInsO 2009, 1555, 1556; Schmerbach, ZVI 2003, 256, 262 f.).
b) Eine Versagung gem. §§ 295 Abs. 1 Nr. 3, 296 Abs. 2 Satz 2, 3 InsO wegen Verstoßes gegen Auskunftspflichten kommt nicht in Betracht. Im Rahmen des § 295 Abs. 2 InsO kommt es nicht auf das tatsächlich erzielte Einkommen an, sondern das fiktive Einkommen, das sich an einem für den Schuldner angemessenen Dienstverhältnis orientiert; Mehrerlös verbleibt dem Schuldner (AG Hamburg, Beschl. v. 19.2.2010 - 67g IN 127/06, ZInsO 2010, 444; Grote, ZInsO 2004, 1105, 1109 f.). Ein Anspruch auf Auskunft über die Einnahmen oder Vorlage von z.B. BWA’s besteht nicht (LG Göttingen, Beschl. v. 8.8.2011 - 10 T 53/11; Grote, ZInsO 2011, 1489, 1492; a.A. FK-InsO/Schmerbach, § 290 Rn. 60).
3. Das Insolvenzgericht wird überprüfen, ob im Rahmen der bewilligten Stundung Auskünfte abverlangt werden können. Die Antragstellerin wird im Rahmen der Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung gem. § 300 InsO ihre Versagungsgründe erneut vorbringen können.