Tatjana

13.06.2005

der Mensch hinter den Schulden

Ich bin so traurig. Gestern hat mich meine Schwester angerufen und geweint. Ich hätte alles Mögliche vermutet, aber nicht dass sie Schulden hat. Sie ist die älteste von uns drei Schwestern, 30 Jahre, hat einen Job bei dem sie gut und ihrer Ausbildung entsprechend sogar überdurchschnittlich gut verdient.

Sie lebt nicht auf großem Fuß, hat ein neues Sofa von Neckermann, aber sonst? In den letzten fünf Jahren war sie einmal in Urlaub, in der Türkei.
Sie ist nach ihrer Ausbildung vor zehn Jahren vom Dorf im ländlichen Taunus in die hessische Landeshauptstadt gezogen. Sie wollte selbständig sein, war es auch. Jedenfalls wirkte es auf uns alle so. In Wirklichkeit hat sie wohl schon damals geliehenes Geld verlebt. Wofür weiß ich nicht, sie wohl auch nicht. Mehrmals hat sie wohl den DISPO umgeschuldet, sich auch ausnutzen lassen. Warum wird das einem auch so leicht gemacht? Ich zum Beispiel begegne den Kreditkartenheinis dauernd, sogar in der Mensa postieren die sich.
Jedenfalls hat sie angerufen, meine Schwester X. Finanzielle Sorgen hätte ich nie vermutet, X. hat sogar unserer jüngsten Schwester, "unserem Feger" immer wieder mal aus der Patsche geholfen, wenn es finanziell nicht mehr weiter ging und sie es unseren Eltern nicht verraten wollte.
Sie hat Schulden hat sie gesagt, weiß nicht was sie machen soll. "Bis morgen 5000 Euro bezahlen, die Kreditkarte damit begleichen, sonst geht er an die Firma", sagt der Mensch vom Inkasso-Büro und legt einfach auf. Das bedeutet die Kündigung sagt X. Ich schreibe gerade meine Examensarbeit, im 13. Semester, spare jeden Monat von 250 Euro nach der Miete 50 Euro plus Geburtstags- und Weihnachtsgeldgeschenke, damit ich unsere Eltern nicht wegen den 600 Euro Studiengebühren, die wegen der Überschreitung der Regelstudienzeit auf mich zu kommen, fragen muss. Sie zahlen schon so viel für mich. Ich möchte sie nicht fragen, obwohl ich weiß ich könnte. Sie hat auch nie gefragt und nie etwas verraten, wenn meine Mutter gefragt hat, ob es denn geht. Letztes Jahr brauchte sie ein neues Auto. 5000 Euro hat sie angeblich, soviel geben auch unsere Eltern noch mal dazu.


Gestern war sie bei der Bank, mit 2000 Euro Steuerrückzahlung könne sie rechnen, aber Nein sagt der City-Bank-Mensch, der ihr noch vor ein paar Jahren die Umschuldung auf einen Kredit so schmackhaft gemacht hat, er lässt sich auf nichts mehr ein: Eine Ausweitung des Kredits ist nicht möglich. Ich denke das war gut so. Endlich.


Nun erzählt sie mir davon. Ich kann nicht helfen. Sie muss zu den Eltern gehen, die können, werden ihr helfen. Und dann sagt sie Ja, und macht sich auf den Weg. Ich soll anrufen und es schon erzählen. Meine Mutter bleibt ganz ruhig, 5000 Euro haben sie, können sie bezahlen. Sie hat immer Angst es könnte sonst was passiert sein. Meinem Vater erzählt unsere Mutter es am Telefon. Er kann es nicht fassen, kommt abends erst um 11 aus der Firma nach Hause und rastet völlig aus. Es kommt schließlich heraus, es sind mitsamt der Zinsen inzwischen 43.000 Euro Schulden. X. zeigt die Auszüge, den Vertrag: 9 von 12 Raten gehen für die Zinsen drauf. Papa hat die ganze Nacht nicht geschlafen, schluchzt am Telefon. Heute morgen hat er drei Stunden telefoniert. Er wird den Kredit ablösen. 5000 für die Kreditkarte hat er schon überwiesen, noch mal soviel kann er vom Sparkonto bezahlen und für den Rest belastet er das Haus, das gerade abgezahlt ist. Er bekommt gute Konditionen, X. hätte keine Chance darauf, noch etwas zu bekommen. Ich hab einen Fleurop-Strauß "Kopf-Hoch" zu ihr geschickt und bin so traurig, dass ich mich gar nicht konzentrieren kann.