Die Verwirkung von Forderungen

01.01.2003

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.

Die Verwirkung ist ein Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), der in der treuwidrigen, verspäteten Rechtsausübung durch den Berechtigten liegt. Sie wird als rechtsvernichtende Einwendung angesehen, besteht unabhängig von der Verjährung und unterliegt keinen Fristen. Voraussetzungen sind: 

  • Zeitablauf
  • Untätigkeit des Gläubigers
  • und Vertrauenstatbestand

Wichtig ist, dass alle drei Kriterien erfüllt sind.

Verjährung und Verwirkung grenzen sich unter anderem darin ab, dass die Verwirkung nicht allein durch Zeitablauf eintritt. Es bedarf weiterer Umstände, welche die Rechtsausübung des Berechtigten treuwidrig erscheinen lassen. Ist nur Zeitablauf geltend zu machen, liegt in dem Fall der Tatbestand der Verjährung vor. Dem Berechtigten steht es dabei frei, die Fristen der Verjährung voll auszuschöpfen.

Ein wichtiges Kriterium um Verwirkung geltend zu machen ist der Zeitablauf. Dabei richtet sich die erforderliche Dauer nach den Umständen des Einzelfalles. Weiterhin sind vor allem die Art und Bedeutung des Anspruchs, die Schutzbedürftigkeit des Verpflichteten und die vom Berechtigten unternommenen Maßnahmen zur Durchsetzung des Anspruchs zu berücksichtigen. Wenn das Verhalten des Berechtigten zu der Annahme führen kann, dass er auf seinen Anspruch verzichtet ( z.B. widerspruchslose Hinnahme der Zurückweisung des Anspruchs durch den Verpflichteten, Nichtgeltendmachung bei einer Abrechnung) verkürzt dies die notwendige Zeitdauer. Es begründet den Vertrauenstatbestand und die Vertrauensfolge, woraus der Verpflichtete annehmen muss, der Gläubiger verfolgt sein Recht nicht weiter.

Im Falle eines titulierten Darlehensanspruches einer Kreditbank hat das LG Trier mit Urteil vom 29.05.1992 - 2 O 174/91 - entschieden, dass nach Unterlassen beitreibender Maßnahmen ( hier acht Jahre ) durch die Berechtigte dem Darlehensrückzahlungsanspruch Verwirkung entgegen stehen kann. Wegen des eingetretenen Zeitablaufes von acht Jahren und der Untätigkeit der Bank während des gesamten Zeitraumes ist das Landgericht Trier zu der Auffassung gelangt, dass der Anspruch der Kreditbank verwirkt ist. Je länger die Verjährungsfristen sind, um so wahrscheinlicher ist es, dass das Zeitmoment der Verwirkung eingetreten ist.

Um Untätigkeit des Berechtigten nachzuweisen, darf dieser im erforderlichen Zeitraum nichts zur Durchsetzung seines Rechtes unternommen haben. Eine Verwirkung kann nicht geltend gemacht werden, wenn der Gläubiger durch Erinnerung, Mahnung oder in ähnlicher Weise zu verstehen gegeben hat, dass er auf seinem Recht besteht.

Das OLG Frankfurt/M. hat mit Beschluss vom 08.10.2002 - 13 W 54/02 - festgestellt, dass ein titulierter Darlehensrückzahlungsanspruch gegen die einkommenslose mitverpflichtete Ehefrau verwirkt ist, wenn ihre Inanspruchnahme über zwanzig Jahre bei fehlendem Schufaeintrag und trotz Erreichbarkeit auf Grund regelmäßiger polizeilicher Anmeldung versäumt wurde. Der Verpflichtete muss aus dem Verhalten des Gläubigers schließen können, dass dieser sein Recht (auch künftig) nicht mehr durchsetzen will. Für den Schuldner muss die verspätete Geltendmachung des Anspruchs eine unbillige Härte darstellen, die sich mit den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht vereinbaren lässt. Insbesondere ist davon auszugehen, wenn der Verpflichtete finanzielle Dispositionen trifft, die er bei Kenntnis oder Geltendmachung offener Forderungen unterlassen hätte.

Bärbel Nestler, ZSB Stuttgart, 2003