"Die Caritas wird niemanden abweisen": Vorbeugende Schuldnerberatung auch für erwerbstätige Menschen am Existenzminimum muss kostenfrei bleiben

21.07.2010

Die Caritas in NRW hält die Kostenfreiheit in der Schuldnerberatung für Menschen am Existenzminimum weiter für sinnvoll und notwendig. Kritik übte der Verband an einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG - vom 13. Juli) zur Refinanzierung der Schuldnerberatung für Erwerbstätige. Die Richter hatten gegen eine erwerbstätige Frau aus dem Kreis Siegen-Wittgenstein entschieden, die 2005 die Schuldnerberatung des örtlichen Caritasverbandes in Anspruch genommen hatte. Die 43-Jährige, die am Existenzminimum lebte, weil ihr Lohn gepfändet wurde, muss die Kosten für eine Schuldnerberatung selbst tragen. Sie habe keinen Anspruch auf eine Übernahme der Kosten als einer präventiven Sozialleistung, selbst dann nicht, wenn dadurch der Absturz in die Bedürftigkeit verhindert werde, so die Richter. 
„Hier wird nicht berücksichtigt, dass den Schuldnern durch Pfändungen oder im Insolvenzverfahren überhaupt nur das pfändungsfreie Existenzminimum zur Verfügung steht“, kritisierte der Paderborner Diözesan-Caritasdirektor Josef Lüttig. „Diesen Menschen bleibe kein Geld zur Finanzierung von Beratung übrig, zahlten sie trotzdem, werden sie umgehend hilfebedürftig im Sinne der Sozialgesetzgebung“, betonte Lüttig. Ein solcher „Widerspruch im System“ passt nicht zum Sozialstaatsgebot, unterstrich Lüttig. Offizielles Ziel von Hartz IV sei es, Hilfebedürftigkeit zu vermeiden, gleichzeitig entscheiden die BSG-Richter, dass vorbeugende Maßnahmen nicht erlaubt sind“, kritisierte Lüttig. 
Bei der Caritas riefen bereits Ratsuchende an und hätten Angst, nicht mehr beraten zu werden. „Die Caritas wird niemanden abweisen“, betonte Lüttig, „Wir werden alles dafür tun, auch weiterhin kostenlose Beratung anbieten zu können“. Es könne nicht staatlich gewollt sein, dass erwerbstätige Schuldner erst in die Arbeitslosigkeit getrieben werden, um dann über die ARGEn als „Wiedereingliederungshilfe“ einen kostenfreien Zugang zur Schuldnerberatung zu bekommen, erläuterte der Caritasdirektor. Es bleibe nun abzuwarten, was die Urteilsbegründung hergibt. Dann werde zu prüfen sein, welche Schritte gegenüber der Politik und dem Gesetzgeber zu gehen sind, kündigte Lüttig an. 
Hintergrund: Die Refinanzierung von Schuldnerberatung setzt sich in NRW aus verschiedenen Bausteinen zusammen: kommunale Mittel, Förderung nach dem Sparkassengesetz NRW und für die Verbraucherinsolvenzordnung auch Landesmittel. Diese Finanzierungsbausteine sind in der Regel nicht kostendeckend und die Träger der Beratungsstellen bringen Eigenmittel zur Abdeckung der Restkosten ein. Die Caritas hat in der Vergangenheit immer dafür geworben, möglichst frühzeitig die Schuldnerberatung aufzusuchen, denn das Risiko eines Arbeitsplatzverlustes für überschuldete Menschen ist ungleich höher als bei den übrigen Arbeitnehmern. 
Zum Rechtsstreit: Nach einer Privatinsolvenz ist die Frau inzwischen wieder schuldenfrei. Doch trotz erfolgreicher Beratung: Sowohl die für die Refinanzierung der Schuldnerberatung zuständige Arbeitsgemeinschaft für Arbeit (ARGE) als auch der Sozialhilfeträger weigerten sich, die Kosten für die Beratung zu übernehmen. Die BSG-Richter erklärten dies für rechtens, weil die Frau weder arbeitslos, noch alt oder behindert sei. Obwohl es das offizielle Ziel von „Hartz IV“ sei, Hilfebedürftigkeit zu vermeiden, erlaube das Gesetz keine vorbeugende Schuldnerberatung zur Verhinderung des Eintritt von Bedürftigkeit für Erwerbstätige (Az: B 8 SO 14/09 R).