Keine Aufrechnung gegen Steuererstattungsanspruch in der Wohlverhaltensphase

14.02.2000

Amtsgericht Neuwied, Beschluss vom 14.2.2000 - 22 IK 28 / 99 (aufgehoben durch Urteil des LG Koblenz)

Aus §§ 1, 96, 287 III, 294 InsO ergibt sich, dass eine Aufrechnung der Insolvenzgläubiger mit Forderungen des Schuldners in der Wohlverhaltsperiode unzulässig ist, wenn die Forderung dem Schuldner selbst und nicht dem Treuhänder zusteht ( hier: Steuerrückerstattungsanspruch ) und erst in der Wohlverhaltensperiode entsteht.

Amtsgericht Neuwied, Beschluss vom 14.2.2000 - 22 IK 28 / 99 (nicht rechtskräftig)

Zum Sachverhalt:

Dem von der Schuldnerin im Rahmen eines Insolvenzverfahrens vorgelegten Schuldenbereinigungsplan hat als einziger Gläubiger das Finanzamt N. widersprochen. Den Widerspruch begründete das Finanzamt damit, dass auf Grund der Verhältnisse der Schuldnerin auch zukünftig mit einer jährlichen Steuererstattung in Höhe von DM 700,00 bis 800,00 zu rechnen sei, so dass das Finanzamt einerseits den Schuldenbereinigungsplan finanziere, andererseits aber nur einen geringen Teil der Forderung erhielte. Die Schuldnerin stellte daraufhin den Antrag, die Einwendungen der Gläubigerin durch eine Zustimmung zu ersetzen.

Das Amtsgericht hat diesem Antrag entsprochen.

Aus den Gründen:

Die Voraussetzungen für eine Zustimmung gem. § 309 I InsO liegen vor. Dem Schuldenbereinigungsplan haben mehr als die Hälfte der Gläubiger nach Kopf- und Summenzahl zugestimmt. Gründe, die einer Zustimmungs-ersetzung entgegenstehen, liegen im Ergebnis nicht vor.

Das Finanzamt als einziger widersprechender Gläubiger hat dargelegt, dass es bei einer Zustimmung zu dem Schuldenbereinigungsplan schlechter dastehen würde als bei der Durchführung des vereinfachten Insolvenzverfahrens mit anschließender Wohlverhaltensperiode. Diesbezüglich hat das Finanzamt vorgetragen, dass auf Grund der Verhältnisse weiterhin mit einer jährlichen Steuererstattung von DM 700,00 bis 800,00 zu rechnen sei. Dies würde zu der aus der Sicht des Finanzamts absurden Situation führen, dass das Finanzamt den gesamten Schuldenbereinigungsplan finanzieren und gleichzeitig lediglich 3 % der vorhandenen Forderung erhalten würde.

Denn da der Schuldenbereinigungsplan die Wirkung eines Prozessvergleiches entfalten würde, würden sich die Aufrechnungen mit den vorhandene Rückständen verbieten. Da gem. § 309 I Nr. 2 InsO das Finanzamt bei Durchführung des Schuldenbereinigungsplans nicht schlechter gestellt werden dürfe als dies bei Durchführung des Insolvenzverfahrens mit anschließender Restschuldbefreiung der Fall wäre, dürfe die Zustimmung des Finanzamts zum Schuldenbereinigungsplan nicht ersetzt werden. Denn sollte es zu einem Insolvenzverfahren kommen, würden die Forderungen des Finanzamtes auf Grund der Vermögenslosigkeit der Schuldnerin nach dessen Abschluss weiterhin in voller Höhe bestehen. Nach Abgabe der Steuererklärung könnte während der Wohlverhaltensphase jederzeit die Aufrechnung erklärt werden, da § 294 I InsO lediglich die Zwangs-vollstreckung untersage. Auch § 294 III InsO greife nicht. Wenn keine Steuererklärungen eingereicht würden, würde das Finanzamt die vollen Beträge trotzdem behalten, da die Lohnsteuer vom Arbeitgeber der Schuldnerin einbehalten werde. Daher könne das Finanzamt insgesamt mit Zahlungen zwischen DM 3.500,00 und DM 4.000,00 neben der angebotenen Rate rechnen. Als Folge sei daher ein Insolvenzverfahren für das Finanzamt wesentlich günstiger als der vorgelegte Schuldenbereinigungsplan .

Entgegen der Ansicht des Finanzamtes kann seine Zustimmung zu dem vorgelegten Schuldenbereinigungsplan ersetzt werden, da das Finanzamt bei Durchführung des Insolvenzverfahrens nicht besser dastehen würde als bei Annahme des Schuldenbereinigungsplanes.

Bereits aus rein steuerrechtlichen Gründen ist dem Finanzamt entgegenzuhalten, dass die Schuldnerin durch die vorherige Eintragung von Freibeträgen ihre monatlich zu zahlenden Steuern derart mindern kann, dass bei einem Lohnsteuerjahresausgleich nahezu keine Steuerrückerstattungsansprüche mehr bestehen, folglich das Finanzamt auch nicht gegenüber diesen Forderungen aufrechnen kann.

Aber auch aus rein insolvenzrechtlicher Sicht kann der Argumentation des Finanzamts nicht gefolgt werden: Denn entgegen der Ansicht des Finanzamtes ist auch in der Wohlverhaltensphase eine Aufrechnung untersagt, so dass das Finanzamt bei der Annahme des Schuldenbereinigungsplanes nicht schlechter dastünde.

Diesbezüglich ist zwar dem Finanzamt zuzugeben, dass § 96 InsO, der ein Verbot der Aufrechnung im Insolvenzverfahren vorsieht, unmittelbar nicht greift. Denn § 96 InsO gilt an sich nur für die Dauer des Insolvenzverfahrens, nicht aber nach der Beendigung diese Verfahrens für den Insolvenzschuldner in der Wohlverhaltensphase. Insofern wäre also eine Aufrechnung des Finanzamts mit Rückerstattungsansprüchen noch möglich.

Auch über § 287 II InsO lässt sich zunächst nicht eindeutig auf ein vom Schuldner gewünschtes Ergebnis (Verbot einer Aufrechnung ) schließen. Nach dieser Vorschrift hat der Schuldner seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis für die Zeit von sieben Jahren nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens an einen vom Gericht zu bestellenden Treuhänder abzutreten.

Insofern ist zu prüfen, ob mit der Abtretung der pfändbaren Bezüge auch der Teil des Lohnes abgetreten worden ist, der zunächst zwar als Steuerschuld des Schuldners ( zu Unrecht ) von dessen Lohn einbehalten worden ist und der dann bei Durchführung des Lohnsteuerjahresausgleiches wieder zurückzuzahlen ist. Dies hätte zur Folge, dass Inhaber der Steuerrückforderung nicht der Schuldner selbst, sondern der Treuhänder wäre, mit der Konsequenz, dass das Finanzamt nicht aufrechnen könnte. Sieht man den Steuerrückerstattungsanspruch also als Teil des pfändbaren Einkommens an, so wäre er gem. § 287 II InsO an den Treuhänder abgetreten mit der Konsequenz, dass keine Aufrechnung mehr möglich wäre ( vgl. Schaub, ArbeitsR-Hdb., § 92 II 15; LAG Hamm, NZA 1989, 529 f.; zur Durchführung des Lohnsteuerjahresausgleichs durch den Arbeitgeber - hier nicht relevant - vgl. Schaub, § 92 II 15 ).

Andererseits ist in der Vergangenheit zum Problem der Pfändbarkeit von Arbeitseinkommen bezüglich der Steuererstattung entschieden worden, dass die Steuererstattung kein Arbeitseinkommen darstellt, sondern eine Forderung des Schuldners gegen das Finanzamt sei, die ihren Ursprung in steuerrechtlichen Vorschriften und in steuerrechtlich relevanten Sachverhalten habe, nicht dagegen in einer Arbeitsleistung des Schuldners ( vgl. LG Braunschweig, NJW 1972, 2315 ). Als Konsequenz dieser Haltung würde die Steuerrückforderung des Schuldners nicht dem Treuhänder, sonder dem Schuldner selbst zustehen, so dass das Finanzamt aufrechnen könnte.

Dieses Ergebnis würde jedoch im Widerspruch zum neuen Insolvenzrecht stehen, das eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger vorsieht ( § 1 InsO ). So sind Pfändungen daher nur beschränkt wirksam, sie werden nach § 114 III InsO mit Ende des Kalendermonats, in dem das Verfahren eröffnet wird, unwirksam (bzw. bei Eröffnung nach dem 15. eines Monats mit Ende des Folgemonats ). Auch weitere Abtretungen des Schuldners an eventuelle Gläubiger sind nach der Abtretung nach § 287 InsO nicht mehr möglich. Da eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlt, kann nur aus den §§ 1, 294 ( Gleichbehandlung der Gläubiger ), 96, 287 III InsO geschlossen werden, dass auch eine Aufrechnung gegen Forderungen des Schuldners gegen Insolvenzgläubiger - soweit die Forderung erst in der Wohlverhaltensphase entsteht - nicht zulässig ist.

Somit wäre das Finanzamt im vorliegenden Fall nicht zur Aufrechnung berechtigt, da ansonsten der Sinn des Insolvenzverfahrens, die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger, verfehlt wäre.

Als Folge dessen steht wegen des Verbots der Aufrechnung bei einer Durchführung des Insolvenzverfahrens das Finanzamt nicht schlechter als bei einer Zustimmung zum Schuldenbereinigungsplan. Dies wiederum führt dazu, dass ein Verbot zur Ersetzung der Zustimmung nicht besteht. Soweit sich das Finanzamt auf eine Schlechterstellung wegen Fehlens einer Wiederauflebensklausel beruft, ist eine solche nicht ersichtlich. Das Gesetz stellt nicht auf die vom Finanzamt befürchtete Nichteinhaltung des Plans durch den Schuldner ab, sondern auf den Plan als solchen. Durch diesen Plan sind jedoch nach obigen Ausführungen keine Benachteiligungen des Finanzamtes ersichtlich.

Fundstelle: ZInsO 2000, 334 - 335

Ebenso:

Landgericht Bonn, Beschluss vom 24.1.2000 - 2 T 44 / 99 ( ZInsO 2000, 341 - 342 )

Hinweis: Gegen diesen Beschluss des LG Bonn wurde von Seiten des Finanzamtes sofortige weitere Beschwerde zum OLG Köln eingelegt. Das OLG Köln prüft derzeit noch den Zulassungsantrag.

Kommentar:

Derzeit kämpft die Finanzverwaltung offenbar in mehreren Bundesländern dagegen, ihre Steuerforderungen im Schuldenbereinigungsplanverfahren als Minderheitsgläubiger zu verlieren. Dabei spielt eine zentrale Rolle, wie Steuererstattungen während der Wohlverhaltensperiode zu behandeln sind. Die Finanzverwaltung geht vielfach davon aus, dass sie auch in dieser Periode gegen den Erstattungsanspruch aufrechnen darf. Dies würde jedoch dem Grundsatz der gleichmässigen Gläubigerbefriedigung widersprechen (§1 InsO).

Auf Grund der Gesetzeslogik ist es eindeutig, dass der Steuererstattungsanspruch, der erst in der Wohlver-haltensperiode entsteht, dem Schuldner zusteht. Insofern darf man auf die Entscheidung des OLG Köln bezüglich der Zulässigkeit der sofortigen weiteren Beschwerde gegen den Beschluss des LG Bonn gespannt sein.

Die Handlungsweise der Finanzämter ist dabei sehr unterschiedlich. Während einige Finanzämter offenbar alle formalen Beschwerdemöglichkeiten im Rahmen der InsO beschreiten, stimmen andere ebensolchen gerichtlichen Schuldenbereinigungsplänen zu ( entweder ausdrücklich oder durch Schweigen ). Eine Zu-stimmung zu aussergerichtlichen Plänen verbieten in der Regel die Bestimmungen der AO, welche bis heute an die Gegebenheiten der InsO nicht angepasst wurden.

Michael Schütz