Anwendung des § 850 f ZPO auch in der WVP

13.08.2001

AG Hamburg, Beschluss vom 13. 8. 2001 - 68b IK 1/99

Leitsätze des Gerichts:

  1. Auf die zur Erlangung der Restschuldbefreiung erfolgte Abtretung in der Wohlverhaltenspenode finden §§ 850 c, 850 f Abs. 1 ZPO Anwendung.
  2. Das Insolvenzgericht ist bei einem entsprechenden Antrag des Schuldners zur Bestimmung des nicht von der Abtretung erfassten und damit ihm zu belassenden Betrages zuständig.

AG Hamburg, Beschluss vom 13. 8. 2001 - 68b IK 1/99

Fundstelle: ZInsO 2001, 768 - 769

1. Die Schuldnerin beantragt, nachdem über ihr Vermögen das mit Beschluss vom 25.2.2000 aufgehobene Insolvenzverfahren eröffnet und ihr mit Beschluss vom 10.1.2000 die Restschuldbefreiung angekündigt worden war, den Betrag für die weitere Laufzeit der Abtretungserklärung (Wohlverhaltensperiode) gemäss § 850 f Abs. 1 ZPO festzusetzen. Diesem Antrag gab die Rechtspflegerin statt und setzte mit Beschluss vom 12.4.2001 den der Schuldnerin insgesamt zu belassenden Betrag auf 1.558,35 DM fest. Das LG Hamburg, dem die hiergegen von der weiteren Beteiligten eingelegte sofortige Beschwerde vorgelegt worden war, hob mit Beschluss vom 3.7.2001 die Vorlageverfügung der Rechtspflegerin auf und verwies das Verfahren an das AG zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde zurück. Die Entscheidung der Rechtspflegerin vom 12.4.2001 sei nicht mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar, da eine Maßnahme der Einzelvollstreckung im Fall der Eröffnung des lnsolvenzverfahrens nicht gegeben und die Entscheidung, inwieweit ein Vermögensgegenstand zur Insolvenzmasse einzuziehen ist, vom Insolvenzgericht zu treffen sei. Da die InsO ein Rechtsmittel gegen eine derartige Entscheidung nicht vorsehe, habe über das Rechtsmittel der weiteren Beteiligten der Richter des Insolvenzgerichts zu entscheiden.

2. Die Erinnerung der weiteren Beteiligten ist unbegründet und somit zurückzuweisen.

Zu Recht hat die Rechtspflegerin gemäss §§ 850 c, 850 f Abs. 1 ZPO den der Schuldnerin zu belassenden Betrag auf monatlich insgesamt 1.558,35 DM festgesetzt.

a) Im eröffneten Insolvenzverfahren gehören das nach §§ 35, 36 InsO insolvenzfreie Einkommen und damit insbesondere die nach §§ 850 ff. ZPO unpfändbaren Bezüge eines Schuldners nicht zur Insolvenzmasse, so dass grundsätzlich jeder die gesetzlichen Freigrenzen übersteigende Einkommensteil zur Insolvenzmasse gehört. Das folgt daraus, dass dieser Teil zunächst kraft Gesetzes der Zwangsvollstreckung unterliegt, weil es in der Einzelzwangsvollstreckung eines Schuldnerantrages bedarf, um eine Erhöhung des unpfändbaren Betrages zu erreichen. Das Gericht hat im Einzelzwangsvollstreckungsverfahren dann die Belange des Schuldners mit denen des Gläubigers abzuwägen und eine Ermessensentscheidung zu treffen. Hierbei wird es regelmäßig den sozialhilferechtlichen Bedarf gemäss § 850 f Abs. 1a ZPO dem Schuldner belassen. Dieser erweiterte Pfändungsschutz ist vom Insolvenzgericht bei einem entsprechenden Antrag des Schuldners auch im Insolvenzverfahren zu berücksichtigen (ebenso LG Hamburg, NZI 2000, 185; OLG Köln, ZInsO 2000, 499; OLG Frankfurt/Main, ZInsO 2000, 614; a.A. AG Münster, ZInsO 2001, 676). Dem entspricht die künftige gesetzliche Ergänzung des § 36 InsO durch das vom Deutschen Bundestag am 28.6.2001 beschlossene Gesetz zur Änderung der InsO. Hiernach sind die §§ 850, 850 a, 850 c, 850 e, 850 f Abs. 1, 850 g - 850 i ZPO entsprechend anzuwenden (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO n.F.), wobei die Entscheidung hierüber dem Insolvenzgericht obliegt (§ 36 Abs. 4 InsO n.F.).

b) Diese Grundsätze sind auch auf die gemäss § 287 Abs. 2 InsO zur Erlangung der Restschuldbefreiung erforderliche Abtretung der pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus Dienstverhältnissen oder an deren Stelle tretenden laufenden Bezüge anzuwenden, obwohl das eigentliche Insolvenzverfahren aufgehoben ist (§ 200 InsO) und auch die künftige Änderung der Insolvenzordnung zum Umfang der Abtretung keine dem § 36 InsO n.F. entsprechende Regelung enthält.

Die InsO eröffnet dem einen Antrag auf Restschuldbefreiung stellenden Schuldner die gesetzliche Möglichkeit, von seinen restlichen Verbindlichkeiten befreit zu sein (§ 1 Satz 2 lnsO). Diese neben der ebenfalls normierten Gläubigerbefriedigung ermöglichte Restschuldbefreiung soll dem redlichen Schuldner Gelegenheit geben, sich nach einem mehrjährigen Zeitraum (Wohlverhaltensperiode) von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien. Um die Restschuldbefreiung zu erlangen, hat der Schuldner allerdings seine pfändbaren Forderungen auf Bezüge an den vom Gericht bestimmten Treuhänder abzutreten. Hierbei handelt es sich um eine Prozesshandlung (vgl. Ahrens, in: Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, § 287 Rn. 27 ff.), da die Erklärung der Abtretung nicht dem Treuhänder gegenüber erfolgt, sondern zusammen mit dem Restschuldbefreiungsantrag dem Insolvenzgericht gegenüber abzugeben ist (§ 287 Abs. 2 InsO), und das Insolvenzgericht den Treuhänder bestimmt, auf den dann erst die Forderung gesetzlich übergeht (§ 291 Abs. 2 InsO). Des Weiteren beschränkt § 114 InsO etwaige Vorausabtretungen, Pfändungen und Verpfändungen, so dass zumindest während eines bestimmten Zeitraums etwaige Bezüge aus Dienstverhältnissen während der Wohlverhaltensperiode zur Verfügung stehen.

Dies bedeutet, dass die für die Erlangung der Restschuldbefreiung erfolgte Abtretung einer insolvenzrechtlichen Beschlagnahme gleich kommt, sodass die §§ 850 c, 850 f Abs. 1 ZPO entgegen der Ansicht der weiteren Beteiligten Anwendung finden und das Insolvenzgericht bei einem entsprechenden Antrag des Schuldners zur Bestimmung des nicht von der Abtretung erfassten und damit ihm zu belassenden Betrages zuständig ist.

c) Der der Schuldnerin gemäss §§ 850 c, 850 f ZPO zu belassene Betrag ist zutreffend errechnet und wird von der weiteren Beteiligten insoweit auch nicht angegriffen.

Kommentar:

Wie das AG Hamburg zutreffend feststellt, enthält auch die ab dem 1.12.2001 gültige "neue" Insolvenzordnung keine Bestimmungen darüber, wer in der Wohlverhaltensperiode den vom Schuldner an den Treuhänder abzuführenden Betrag bei Streitigkeiten darüber festlegt und welches rechtliche Verfahren hier einzuschlagen ist.

Das AG Hamburg hat sich zur Recht dafür ausgesprochen, dass in der Wohlverhaltensperiode keine grundsätzlich andere Regelung gelten kann wie bei der Einzelzwangsvollstreckung oder im eröffneten Insolvenzverfahren. Dies wäre für den Schuldner auch widersinnig. Desgleichen spricht sich das AG Hamburg dafür aus, dass bei Streitigkeiten darüber auch in der Wohlverhaltensperiode das Insolvenzgericht entscheidet, wie es im neuen § 36 Abs. 4 InsO für das eröffnete Verfahren normiert wurde.

Es ist zu hoffen, dass auch andere Gerichte so pragmatisch entscheiden und nicht erst nach einigen Jahren eine BGH-Entscheidung für endgültige Klarheit sorgt. Bedauerlicherweise wird ja den OLGs ab 2002 durch die ZPO-Reform die Zuständigkeit für weitere Beschwerden in Insolvenzsachen in den meisten Bundesländern entzogen, so dass bei der zu erwartenden Arbeitsbelastung des Bundesgerichtshofes eine höchstrichterliche Entscheidung Jahre dauern kann.

Michael Schütz

29.11.2001