§ 850 f Abs. 1 ZPO im Verbraucherinsolvenzverfahren anwendbar

18.08.2000

OLG Köln, Beschluß vom 18.08.2000 – 2 W 155/00

Leitsätze:

  1. Bei der Frage, ob § 850 f Abs. 1 ZPO im Insolvenzverfahren gemäß § 4 InsO entsprechend anzuwenden ist und eine Entscheidung des Insolvenzgerichts ermöglicht, durch die dem Schuldner im Ergebnis ein höherer als der nach der Tabelle zu § 850 c ZPO unpfändbarer Teil seines Arbeitseinkommens belassen wird, handelt es sich um eine Entscheidung darüber, inwieweit ein Vermögensgegenstand zur Insolvenzmasse einzuziehen ist. Diese Entscheidung ist im Insolvenzverfahren von dem Insolvenzgericht zu treffen. Ein Rechtsmittel zum Landgericht gegen eine derartige Entscheidung sieht die Insolvenzordnung nicht vor.
  2. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbietet das Sozialstaatsprinzip ( Art. 20 Abs. 1 GG ) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, durch staatliche Maßnahmen dem Einzelnen den Teil des selbst erzielten Einkommens zu entziehen, der als Mindestvoraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird. Dieser Schutz des Existenzminimums wird im Verfahren der Einzelvollstreckung nicht allein durch die Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO gewährt. Das spricht für eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung auch im Insolvenzverfahren .

OLG Köln, Beschluß vom 18.08.2000 – 2 W 155 / 00

Fundstelle: www.inso-rechtsprechung.de/098.htm (eine Veröffentlichung in der ZinsO soll ebenfalls vorliegen)

Kommentar:

Der Volltext dieser Entscheidung ist auf der Internetseite von Guido Stephan einzusehen und kann von dort auch heruntergeladen werden. Wer mit den Feinheiten der Rechtsmittel im Zivilrecht nicht sehr vertraut ist, der wird mit dieser Entscheidung allerdings nicht viel anfangen können.

Eine inhaltliche Entscheidung in diesem Fall hat das OLG Köln nicht getroffen. Es hat das Verfahren vielmehr an den Insolvenzrichter des Amtsgerichtes Dortmund zurückverwiesen. Dieser muss nun abschließend darüber entscheiden, ob dem § 850 f Abs. 1 ZPO – Antrag der Schuldnerin im eröffneten Verbraucherinsolvenzverfahren auf Erhöhung ihres Pfändungsfreibetrages stattgegeben wird.

Wichtig ist jedoch, dass sich das OLG Köln als erstes OLG bundesweit dazu bekannt hat, das § 850 f Abs. 1 ZPO sowie sinngemäß auch § 850 c Abs. 4 ZPO im Insolvenzverfahren anzuwenden sind und der Schuldner bzw. der Gläubiger entsprechende Anträge an das Insolvenzgericht stellen können. Somit ist die bisher herrschende Verwirrung, welches Gericht denn für die Anträge zuständig sei, beendet, zumindest für den Bereich Nordrhein-Westfalen. Darüber hinaus dürfte der Beschluss bundesweit meinungsbildend sein.

Wenn der Schuldner im eröffneten Verbraucherinsolvenzverfahren also eine Bescheinigung des zuständigen Sozialamtes vorlegt und nachweist, dass sein sozialhilferechtlicher Bedarf höher ist als das ihm pfandfrei verbleibende Einkommen, so kann er einen entsprechenden Antrag an das Insolvenzgericht stellen und dieses muss sich mit dem Antrag befassen.

Eine ablehnende Entscheidung des Rechtspflegers am Insolvenzgericht kann jedoch auf Grund der nach der InsO nicht gegebenen Beschwerdemöglichkeit nicht zum übergeordneten Landgericht führen. Möglich ist jedoch eine Rechtspflegererinnerung nach § 11 RPflG. Da nach unserem Grundgesetz endgültige Entscheidungen nur von einem Richter getroffen werden können, nicht aber von einem Rechtspfleger, ist diese Erinnerung gegen alle Entscheidungen eines Rechtspflegers immer gegeben. Wenn der Schuldner gegen eine ablehnende Entscheidung des Rechtspflegers Erinnerung einlegt, so muss sich der übergeordnete Richter am Insolvenzgericht ( Amtsgericht ) mit dem Sachverhalt befassen und dann eine endgültige Entscheidung treffen. Sollte auch der Richter den Erhöhungsantrag ablehnen, gibt es für den Schuldner kein weiteres Rechtsmittel mehr.

Im Interesse einer Beschleunigung der Verfahren ist das Nichtvorhandensein von Rechtsmitteln hinzunehmen. Im umgekehrte Fall, wenn ein Gläubiger einen Antrag auf Herausrechnung eines Familienangehörigen mit eigenem Einkommen nach § 850 c Abs. 4 ZPO stellt, so muss sich das Insolvenzgericht mit diesem Antrag in gleicher Weise beschäftigen. Auch dem Gläubiger ist in diesem Fall der weitere Beschwerdeweg zum Landgericht versperrt, der Insolvenzrichter trifft auch hier eine abschließende Entscheidung.

Anzumerken ist noch, dass das OLG Köln ausdrücklich darauf hinweist ( im Einklang mit der herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung ), dass die vom Schuldner vorgelegte Bescheinigung des Sozialamtes für das Insolvenzgericht nicht bindend ist. Insbesondere ist das Gericht nicht daran gebunden, den jeweiligen Mietzins in voller Höhe anzuerkennen. So wird die Handhabung dieser Erhöhungsanträge wie auch schon bisher bei den Vollstreckungsgerichten auch in Zukunft von Gericht zu Gericht sehr unterschiedlich sein.

Michael Schütz