Zuständigkeit des Insolvenzgerichts für die Sicherung des Existenzminimums

16.10.2000

OLG Köln, Beschluss vom 16.10.2000 - 2 W 189 / 00

  1. Die Bestimmungen der §§ 850 ff. ZPO sind auch im Insolvenzverfahren entsprechend anwendbar.
  2. Für eine Entscheidung über einen Antrag gem. §§ 850 ff. ZPO ist im eröffneten Insolvenzverfahren das Insolvenzgericht und nicht das Vollstreckungsgericht zuständig.
  3. Gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers beim Insolvenzgericht über einen Antrag nach § 850 g ZPO findet nicht die sofortige Beschwerde gem. § 793 ZPO, sondern die befristete Erinnerung nach § 11 II RPflG statt.

OLG Köln, Beschluss vom 16.10.2000 - 2 W 189 / 00

Fundstelle: NZI 2000, 590 - 592

Ebenso: 
OLG Köln, Beschluss vom 18.8.2000 - 2 W 155 / 00 ( NZI 2000, 529 )
OLG Frankfurt / Main, Beschluss vom 29.8.2000 - 26 W 61 / 00 ( NZI 2000, 531 )

Aber:
AG Köln lehnt die Umsetzung des Beschlusses des OLG Köln zur Sicherung des Existenzminimums des Schuldners im Insolvenzverfahren ab !!!

..... Aus den Gründen:
..............

Für das weitere Verfahren vor dem Amtsgericht weist der Senat auf Folgendes hin: Gem. § 11 II 2 RPflG hat zunächst der Rechtspfleger darüber zu befinden, ob er dem Rechtsbehelf des Bet. zu 1 gegen seine Entscheidung vom 5.5.2000 abhilft. Nur wenn die Voraussetzungen für die Abhilfe nicht gegeben sind, hat nach § 11 II 3 RPflG eine Vorlage an den Richter des Insolvenzgericht zu erfolgen.

Bei der Entscheidung in der Sache hat das Amtsgericht auch zu bedenken, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG ( BVerfGE 82, 60 (85) = NJW 1990, 2869; BVerfGE 87, 153 = NJW 1992, 3153 (3154); BVerfGE 87, 234 = NJW 1993, 643 (644); zuletzt BVerfGE 99, 246= NJW 1999, 561 (562) ) das Sozialstaatsprinzip ( Art. 20 I GG ) in Verbindung mit Art. 1 I GG es verbietet, durch staatliche Maßnahmen dem Einzelnen den Teil des selbst erzielten Einkommens zu entziehen, der als Mindestvoraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird. Dieser Schutz des Existenzminimums spricht für eine entsprechende Anwendung der §§ 850 ff. ZPO auch im Insolvenzverfahren ( Senat, NZI 2000, 529 = ZInsO 2000, 499 (501); Grote, ZInsO 2000, 490; vgl. auch Hintzen, Rpfleger 2000, 312 (314); Kohte, in: Kölner Schrift z. InsO 2. Aufl. ( 2000 ), S. 781 (805 ff.); Steder, ZIP 1999, 1874 (1880); a.A. Möhlen, Rpfleger 2000, 4(6) ).

Gem.§ 4 InsO finden die Vorschriften der ZPO auf das Verbraucherinsolvenzverfahren entsprechende Anwendung, soweit der Zweck dieser Regelungen mit dem gesamtvollstreckungsrechtlich ausgerichteten Insolvenzverfahren übereinstimmt ( Grote, ZInsO 2000, 490 (491); Helwich, NZI 2000, 460 (462) mit weiteren Nachweisen ). Die individuelle Lage des Schuldners und seiner unter-haltsberechtigten Angehörigen kann nicht nur einen zusätzlichen Schutz gegen eine Einkommenspfändung im Rahmen der Einzelvollstreckung notwendig machen. Ein entsprechendes Schutzbedürfnis besteht auch im Insolvenzverfahren, wenn der Schuldner seinen Unterhalt - bemessen an dem gem. § 850 c ZPO pfändungsfreien Betrag - erhält. Vor der Frage, ob der Treuhänder oder die Gläubigerversammlung dem Schuldner aus der Masse Unterhalt zu gewähren hat, ist zu klären, in welchem Umfang das Existenzminimum des Schuldners überhaupt in die Masse fällt. Nur Vermögen, das der Zwangsvollstreckung unterliegt, gehört zur Insolvenzmasse ( §§ 35, 36 InsO ). Insoweit ist der vom Treuhänder einzuziehende und damit dem Insolvenzbeschlag unterliegende Betrag unter Berücksichtigung der sich aus §§ 850 a ff. ZPO ergebenden Pfändungs-beschränkungen und Berechnungskriterien zu ermitteln.

Ändern sich die maßgeblichen Umstände und weigern sich der Treuhänder, der Gläubigerausschuss bzw. die Gläubigerversammlung, eine Erhöhung des Unterhalts zu bewilligen, so erscheint es sachgerecht, dem Schuldner in entsprechender Anwendung des § 850 f ZPO oder § 850 g ZPO die Möglichkeit einzuräumen, durch Beschluss eine Entscheidung des Insolvenzgerichts über den unpfändbaren Betrag bzw. die Unpfändbarkeitsvoraussetzung herbeizuführen ( vgl. auch Stephan, ZInsO 2000, 376 (380) ).

Kommentar:

Während sich der vorangehende Beschluss des OLG Köln vom 18.8.2000 in erster Linie mit der Frage der Rechtsmittel beschäftigt, wird in diesem Grundsatzbeschluss deutlich gemacht, dass bezüglich des Schuldnerschutzes und der Anwendung der §§ 850 ff. ZPO zwischen Einzelzwangsvollstreckung und Insolvenzverfahren kein Unterschied bestehen kann. Außerdem wird betont, dass der unpfändbare Teil des Arbeitseinkommens eben nicht in die Insolvenzmasse fällt, wie es bisher vor allem von Smid vertreten wurde.

Die Entscheidung des OLG Frankfurt will den § 850 f ZPO im Insolvenzverfahren nur bis zu der geplanten Erhöhung der Pfändungsfreigrenzen durch den Gesetzgeber angewendet wissen. Dies erscheint fragwürdig, denn auch danach wird es ( wenige ) Einzelfälle geben, in denen § 850 f ZPO angewandt werden könnte.

Michael Schütz